Für ihre Foto-Serie »The Holy Women« wird Lisa Marie Asubonteng beim Felix Schoeller Photo Award mit dem Preis für die beste Nachwuchsarbeit ausgezeichnet.
Sexuelle Gewalt ist ein Tabuthema in Ghana. Angst und fehlende finanzielle Unterstützung sind Gründe dafür, dass die Gesellschaft wegguckt. Lisa Marie Asubonteng schaut hin – mit der Kamera. In ihrer Foto-Serie »The Holy Women« will sie die Frauen nicht als Opfer zeigen, sondern als Menschen mit Träumen und mit Hoffnung in den Augen. Dafür wird die 25-Jährige beim Felix Schoeller Photo Award mit dem Preis für die beste Nachwuchsarbeit ausgezeichnet.
kultur.west: Schwarze Frauen und Mädchen auf der Straße. Sie treten ganz selbstverständlich auf. Einzelne im bunten Blumenkleid, viele haben Flip-Flops an den Füßen, manche tragen ihr kleines Kind im Arm oder in einem Tuch auf dem Rücken. Sie nennen diese Frauen und Ihre Fotoserie »Holy Women«. Warum heilig?
ASUBONTENG: Sie alle teilen ein Schicksal. Sie sind vergewaltigt worden, was in Ghana leider oft passiert, aber ein Tabuthema bleibt. Auch weil Ghana ein sehr religiöses Land ist. Mädchen, die Opfer wurden, müssen oft die Schule abbrechen, Frauen haben zum Beispiel Schwierigkeiten, einen Job oder einen Ehemann zu finden. Denn Personen, die Survivors of Rape sind, gelten als unrein, als »unholy«. Ich aber möchte sie in meinen Bildern als »holy« darstellen.
kultur.west: Ihre Mutter kommt aus Ghana. Sie selbst sind zwar auch dort geboren, doch haben Sie immer in Deutschland gelebt. Wie sind Sie auf das Problem gestoßen und was hat Sie dazu bewogen, sich so intensiv damit zu beschäftigen? Immerhin haben Sie viele Monate in Ghana gelebt, um an Ihrer Serie zu arbeiten. In dieser Zeit sind rund hundert Porträts entstanden.
ASUBONTENG: Bei der Beerdigung meiner Großmutter 2021 saßen einmal alle Frauen zusammen an einem Tisch. Die Rede kam auf meine Cousine, und jemand fragte, warum sie ein Kind hat, obwohl sie noch sehr jung ist. Es stellte sich heraus, dass auch sie vergewaltigt wurde. Ich wusste sehr schnell, dass dies ein Thema für mich sein wird.
kultur.west: Wie sind Sie mit den betroffenen Frauen und Mädchen in Kontakt getreten?
ASUBONTENG: Über Verbindungen im Dorf meiner verstorbenen Großmutter habe ich erfahren, wer betroffen ist. Ich habe den Frauen dann erzählt, was ich vorhabe, habe sie kennengelernt und mit ihnen gesprochen wie von Schwester zu Schwester. Es wundert mich wirklich, dass ich so viele gefunden habe, die bereit waren, sich mir zu öffnen. Ein tolles Erlebnis.
kultur.west: Sicher waren die Gespräche häufig aber auch sehr belastend.
ASUBONTENG: Ja, zumal ich etwas unbedarft an das Projekt herangegangen bin. Ich war emotional nicht vorbereitet auf die oft erschütternden Geschichten.
kultur.west: Trotz der schlimmen Schicksale wirken die Frauen in ihren Fotos nicht wie Opfer.
ASUBONTENG: Das war mir wichtig, diesen Personen ihr eigenes Bild zu geben. Sie sind Survivors, haben Schlimmes erlebt. Doch möchte ich sie in meinen Porträts nicht als bemitleidenswerte Wesen abstempeln, die es zu nichts mehr bringen können. So wie es zum Teil in Bildern geschieht, die Hilfsorganisationen verbreiten. Ich will sie als starke, schöne Frauen zeigen, die selbständig sind, die ihren eigenen Weg gefunden haben. Die Träume haben und Hoffnung in den Augen.
kultur.west: Wie sind Sie vorgegangen, um dieses Ziel zu erreichen. Haben Sie den Frauen irgendwelche Vorgaben gemacht, Tipps gegeben?
ASUBONTENG: Sie haben mit mir zusammen das Bild kreiert, Ort und Kleidung selbst gewählt. Kommt so, wie ihr euch zeigen wollt, habe ich ihnen gesagt. Wenn ihr nicht in die Kamera schauen wollt, müsst ihr das nicht tun. Wenn ihr euch gut fühlt, dann zeigt es. Es ist Eure Entscheidung, welches Bild von Euch Ihr der Welt zeigen wollt.
kultur.west: Was sagen die Porträtierten zu den Fotos? Was denken Sie – haben Sie bei den Frauen etwas erreicht mit dieser Serie?
ASUBONTENG: Das für mich schönste Ergebnis ist, dass aufgrund der Porträts eine Art Community entstanden ist. Die Frauen haben voneinander erfahren. Kennen nun andere, denen dasselbe widerfahren ist wie ihnen. Sie wissen, dass sie nicht allein sind mit dem oft verschwiegenen Schicksal. Und dass sie sich gegenseitig stärken und unterstützen können.
Lisa Marie Asubonteng
…ist Jahrgang 1997, hat ghanaische Wurzeln und wuchs in Stuttgart auf. Sie zog nach Berlin, um an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Kommunikationsdesign zu studieren. Ihre Serie »The Holy Women« war im November 2022 auf Zeit Online erschienen.