Die Düsseldorfer Fotografin Corina Gertz reist um die Welt, um die Rückenansichten von Frauen zu fotografieren: in traditioneller Kleidung. Im Textilmuseum Krefeld bringt sie ihre Trachten-Serie nun mit Objekten aus der Sammlung zusammen. Ein Gespräch über Kleidung als Kommunikation.
kultur.west: Frau Gertz, wie ist die Idee zu Ihrer Trachten-Serie entstanden?
GERTZ: Als ich Mitte der 1990er Jahre im südlichen Afrika lebte, habe ich immer wieder über mehrere Monate das Nomadenvolk der Himba im Norden Namibias besucht. Damals lebten diese Menschen noch relativ unberührt von der westlichen Zivilisation und dem Tourismus. Jede Frisur, jedes Kleidungs- und Schmuckstück hatte eine bestimmte Bedeutung und diente nicht rein der Dekoration. Ich denke, die Fotografie gibt mir die Möglichkeit, Dinge festzuhalten, zu dokumentieren und in einer bestimmten Ordnung abzubilden.
kultur.west: Welche Ordnung ist das?
GERTZ: Das Herausstellen einer einzelnen Tracht als konzentriertes Rückenporträt erlaubt es, spezielle Besonderheiten zu zeigen sowie isolierte Einzelheiten zu betrachten. In aller Klarheit und Feinheit können zum Beispiel Texturen und Ausformungen von Stoffen, Stickereien oder auch Kopfbedeckungen präsentiert werden. Schaut man sich die ganze Serie an, spielt die formalästhetische Bildgestaltung eine wichtige Rolle, die auch Aufschluss über soziale Ordnung, Familienstand, Beruf oder Alter geben kann.
kultur.west: Warum aber fotografieren Sie die Porträtierten immer abgewandt von der Kamera? Denkbar wäre ja, dass die Frauen über ihre Schulter blicken…
GERTZ: Es handelt sich ja um ein Kunst-Projekt. Ich setze die Lichtführung, den schwarzen Hintergrund und auch die Rückenansicht gezielt ein. Das Gesicht, die Mimik eines Menschen oder auch die Hände üben eine starke Anziehungskraft aus, die mich von dem Eigentlichen, das ich fotografisch festhalten möchte, abgelenkt hat. Deshalb habe ich bereits sehr früh mit den Rückenporträts begonnen. In diesen abgewandten Darstellungen, die sich in allen Porträts wiederholen und Körperproportionen oder Hautfarben aus dem Blickfeld nehmen, kann ich den Fokus auf die Kleidung als nonverbale Kommunikation setzen.
kultur.west: Was lässt sich an Trachten ablesen?
GERTZ: Soziale Codes. Jede Aufnahme innerhalb einer Serie stellt auch immer die Individualität der Person dar, gleichzeitig zeigt sie Ähnlichkeiten der Gegebenheiten zueinander. Ich versuche, so zu fotografieren, dass ich auch vergleichend schauen kann. Immer wieder gibt es bestimmte Aspekte, die bei den verschiedenen Bekleidungen hervorstechen, sich ähneln, obwohl die Regionen gar nichts miteinander zu tun haben. In der Anthropologie zeigen viele historische Abbildungen regionaler Bekleidung nicht die Rückseiten. Daher erfüllen die abgewandten Porträts hier nicht nur ästhetische Ziele. Sie schließen auf ihre Weise gleichermaßen eine Lücke in unserer Wahrnehmung wie in der Dokumentation.
kultur.west: Stecken hinter den Trachten eigentlich ausschließlich Frauen?
GERTZ: Ich fotografiere auch Männer und Kinder. Mitte April wird meine Ausstellung auf dem Purple Path anlässlich der Kulturhaupstadt Chemnitz 2025 eröffnet, die dann zwei Jahre reisen wird. Der Kurator Alexander Ochs hatte mich 2022 eingeladen, Vertreter unterschiedlicher Bergbrüderschaften im reich geschmückten, traditionellen Habit im Erzgebirge zu fotografieren. Diese Bilder werden meinen abgewandten Porträts von Frauen aus der ganzen Welt in der Ausstellung gegenüber gestellt.
kultur.west: Ihre Serie ist schon an vielen Orten in Deutschland gezeigt worden, gerade etwa auf der Nordseeinsel Föhr – auf der es eine eigene Trachtenkultur gibt. Gibt es eigentlich Trachten, die NRW-spezifisch sind?
GERTZ: Außer der Westfälischen Tracht ist mir nichts bekannt.
kultur.west: In Krefeld kombinieren Sie Ihre Bilder mit 150 Objekten der Sammlung. Was für Objekte sind das?
GERTZ: Das Kuratorenteam des Museums hat die Fotografien und Objekte nach ästhetischen, assoziativen Kriterien ausgesucht. Manches Schmuckstück wird zu einer Tracht getragen, ist aber in der Rückenansicht der Fotografie nicht zu sehen. Ein weiteres Beispiel ist eine alte Katagami Druckschablone aus Japan, die einem abgewandten Porträt von einer Samburu Frau aus Kenia gegenüber gestellt wird, die das gleiche Muster trägt. Der Stoff kam vermutlich über die Altkleidertransporte nach Afrika.
kultur.west: Was ist das älteste Exponat?
GERTZ: Ein textiles Fundstück aus dem 8. Jahrhundert aus einer Ausgrabung in Kairo. Es handelt sich um die gleiche Webart, die an einem Kragen bei einem meiner chinesischen Modelle zu finden ist, das ein Kleid aus der Tang-Dynastie (618-907) trägt. Meine abgewandten Porträts aus China waren ein Projekt mit dem Chinese Costume Restauration Team. Hier wurde mit Archäolog*innen, Historiker*innen und Studierenden recherchiert, wie die Druck- und Webtechniken in dieser Zeit aussahen und nach historischen Erkenntnissen nachgearbeitet.
kultur.west: Sie sind für Ihre Serie rund um die Erde gereist. Gibt es Orte, die Sie in Bezug auf Ihre Trachtenkultur besonders beeindruckt haben?
GERTZ: 2022 haben mich die Bewohner*innen von Lagartera in Spanien eingeladen, da sie unbedingt Teil meines Projekts werden wollten. Die Handarbeiten und Stickereien von Lagartera sind eines der einzigartigsten, spektakulärsten und extravagantesten Kunsthandwerke, die mit der Haute-Couture in Paris vergleichbar sind. An Fronleichnam erstrahlt die kleine Gemeinde in einem Feuerwerk von Stickereien, nicht nur in der traditionellen Kleidung, sondern auch auf Altären, die an den Türen der Häuser aufgestellt sind und sogar ganze Fassaden schmücken. Die Straßen sind mit Rosmarinzweigen bedeckt, die die Luft mit ihren Aromen durchtränken.
Am Turkana See hat mich nicht nur das Aussehen der starken, selbstbewussten Frauen beeindruckt. Dort gab es niemanden, der für mich übersetzen konnte. Also zeigte ich einfach meine abgewandten Porträts auf dem Handy. Die Frauen verstanden sofort, worum es in der Serie geht und wollten Modell stehen.
»Zwiegespräche«
Deutsches Textilmuseum Krefeld
bis 10. August
Im Bielefelder Kehrer Verlag ist ein Band über die Porträts von Corina Gertz erschienen
(»Das abgewandte Porträt«, 176 Seiten, 40 Euro)