Das Reihenhaus hat bekanntlich ein Imageproblem. Das lässt sich an der Architektur derartiger Heime festmachen, mehr noch aber an den unterstellten Lebensformen ihrer Bewohner. Das geht in etwa so: Wer zwei seiner eigenen vier Wände mit dem Nachbarn teilt, verreist in der Regel auch pauschal in den Urlaub. Samstags ist Waschtag im Carport, sonntags werden Hochleistungen am Grill erbracht. Aus den handtuchgroßen Vorgärten grüßen Gartenzwerge, und in den piccobello Hobbykellern sensibilisieren Väter Söhne für die unvergleichliche Schönheit monumentaler Modelleisenbahnlandschaften. So viel zum Klischee. Wo ein Haus wie das andere aussieht, ist der Raum für die feinen Unterschiede eben begrenzt. Deshalb sind Reihenhäuser uncool, günstig zu erwerben, dem sozialen Status aber nicht unbedingt zuträglich.
Das Wohnen im Dazwischen ist bis heute Inbegriff deutscher Spießigkeit; und ganz falsch liegt nicht, wer bei Reihe auch an Glied denkt, an Disziplin, Ruhe und Ordnung. War das kostengüns-tige Wohneigentum den bürgerlichen Sozialreformern doch ein Mittel, das im Zuge der Indus-trialisierung in die Großstädte drängende Proletariat zu zivilisieren. »Man muss das Übel an der Wurzel fassen und den Grubenarbeiter mit seinem rauhen, dumpfen und schweren Schicksal dadurch zu versöhnen suchen, dass man ihm ein Heim ermöglicht«, zitiert der Berliner Stadtsoziologe Hartmut Häußermann in seiner ebenso informativen wie knappen Einführung im Bildband zur Ausstellung aus der Leipziger Illustrierten Zeitung von 1873. Dreh- und Angelpunkt dieses Zivilisierungsprogramms war mit dem eigenen Heim auch der Herd, an dem die Hausfrau »dem aus dem finsteren Schoß der Erde« zurückkehrenden Gatten seine warme Mahlzeit bereiten sollte, damit der »lieber den Schritt nach seiner Hütte als zum Wirtshaus lenkt«. Familien und Reihenhäuser, die gehören auch heute noch zusammen. Es kann auch nicht überraschen, dass Friedrich Engels zur selben Zeit das Hauseigentum als Instrument der Entproletarisierung bekämpfte. Revolutionierst du noch, oder wohnst du schon?
Die »Deutsche Reihenhaus AG« hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, dieses Negativbild zu korrigieren. Es ist eine mutige, die Klischees ironisierende Imagekampagne, deren Ergebnis nach München nun vom 9. Januar bis zum 1. März auszugsweise im Kölner Museum für Angewandte Kunst Station macht. Zufriedene Bewohner von 50 Reihenhäusern in Deutschland hat der Kölner Fotograf Albrecht Fuchs porträtiert, während sich Marc Räder mit der Kamera Reihenhaussiedlungen angenommen hat. Mit einem Hubwagen ist der Architekturfotograf durch Deutschland gefahren, um diese Ensembles aus der Vogelperspektive in den Blick zu bekommen. Auf akkurate Weise unecht sieht das aus, so künstlich wie – ja – eine dieser Modellbaulandschaften, die der voreingenommene Betrachter in den Hobbykellern der abgebildeten Häusern vermuten könnte. Ist das jetzt einfach von oben herab aufgenommen, um einmal mehr das Bild vom kleinbürgerlichen Idyll zu bestätigen? Oder wahrt Räder so eine notwendige Distanz zu diesen kleinen, vermeintlich heilen Welten, die den Betrachter erst genau hinschauen lässt?
Albrecht Fuchs hingegen hat sich der Aufgabe gestellt, den Nachweis zu erbringen, dass die Einförmigkeit der Behausung nicht das Leben darin infiziert. Wie sieht es also aus »in deutschen Reihenhäusern«? Auf- und vollgeräumt, mal hell, dann wieder dunkel, beklemmend, freundlich, karg, gemütlich, nüchtern, geschmacklos. Hier finden sich Gelsenkirchener Barock genauso wie eher minimalistische Einrichtungen. Die 33-jährige Aysun M. wohnt in einem Reihenhaus, der 48-jährige Martin W., der 61-jährige Trajko S. und die 24-jährige Giusy C., Berufssoldaten und Versicherungskauffrauen, Architekten und frühverrentete Tierärzte – Singles, Paare, Familien. »In deutschen Reihenhäusern« geht es also weniger uniform und spießig zu, als das Hörensagen vermuten ließe.
Wenngleich Fuchs natürlich auch Gartenzwerge gefunden hat. »Sie strahlen für uns eine besondere Zuversicht aus.« So lässt sich die 48-jährige Krankenschwester Elvira W. zitieren. Auch Sätze wie die folgenden hat die mit den Kurzporträts der Bewohner betraute Journalistin Inken Herzig zu Papier gebracht: »Ihren Schrebergarten haben die B.s aufgegeben. Heute liegt ihr Idyll unmittelbar vor dem Wohnzimmer.« Ganz neu und anders wird das Leben hier also nicht ansichtig. Zumal Albrecht Fuchs Porträts auch erahnen lassen, dass in Sachen Reihenhaus-Raumkonzept dann doch noch einiges zu tun bleibt. Es wäre also an der Zeit, nicht nur einen wohlwollenden Blick in »deutsche Reihenhäuser« zu werfen, sondern auch einen kritischen auf deren Architektur.
»In deutschen Reihenhäusern«, bis zum 1. März 2009 im Kölner Museum für Angewandte Kunst, der gleichnamige Bildband ist im Callwey Verlag erschienen und kostet 39,90 Euro. www.museenkoeln.de/museum-fuer-angewandte-kunst + www.reihenhaus.de