Da steht Dieter Kreutz in der Landschaft, aber keiner erkennt ihn. Kopf und Rumpf sind total verwischt und erscheinen nur schemenhaft vor einem ebenso unklaren Grund. Das hatte sich Kreutz wahrscheinlich anders vorgestellt und wies das Auftragswerk zurück. Mehr Verständnis für Gerhard Richters Art der Bildbefragung hatte offenbar die Kunstsammlung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen – 1974 schon kaufte sie dem Maler sein Porträt ab. Es hängt derzeit im Kunsthaus NRW in der ehemaligen Reichsabtei Kornelimünster, wo die Sammlung zu Hause ist und ihren 70. Geburtstag jetzt mit einer zweiten großen Jubiläums-Ausstellung begeht – »gestalten – Ein Jahrhundert abstrakte Kunst im Westen« lautet ihr Titel und sie schöpft komplett aus dem reichen Fundus.
Wie ein roter Faden ziehe sich die abstrakte Kunst durch die Sammlung, das bemerkte Direktor Marcel Schumacher unlängst bei der Arbeit an einem Bestandskatalog. Darum hat er das Thema gewählt und fächert es in verschiedenen Kapiteln auf. Es geht etwa um Strukturen, Muster, Konstellationen. Zudem macht Schumacher klar, wie das Ungegenständliche im Gegenständlichen wirksam wird. Wenn etwa Albert Renger-Patzsch Bäume als bloße Bildstruktur interpretiert, wenn Andreas Gursky das »Breitscheider Kreuz« fotografiert und sich dabei an die Farbfeldmalerei anlehnt. Oder wenn das Ehepaar Becher immer nach demselben Prinzip reihenweise Hochöfen ablichtet, dabei aber weniger das Ding als vielmehr seine formalen Eigenschaften im Auge hat.
100 Jahre nimmt sich die Schau vor. Dabei erscheint das Material bis in die 50er Jahre recht dünn. Die Szene im Rheinland beschäftigte sich in den 20ern eher mit dem Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit, eine abstrakte Schule fehlte. Die Schau schickt August Macke vor. Zwar hat der sich in seiner »Farbkomposition« von 1913 schon recht nah ans rein abstrakte Kunstwerk herangearbeitet, doch bleibt das reale Vorbild wichtig und auch sichtbar. Schaut man genauer hin, geben sich die Berge im Sonnenschein klar zu erkennen.
Zero, Op- und Pop-Art
Richtig los geht es mit der ungegenständlichen Kunst im Westen erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit Künstlern wie Joseph Fassbender, Karl Otto Götz und Gerhard Hoehme, die sich zuerst an den Klassikern der Moderne – von Cezanne über Picasso bis zu den Surrealisten – orientieren und später mehr und mehr mit dem Informel anfreunden. In den 60er Jahren kommen Zero, Op- und Pop Art in Fahrt – Manfred Kuttner etwa malt mit fluoreszierenden Plaka-Farben seine flimmernde »Weibermühle«. Breit fächern sich nun die Möglichkeiten des Abstrakten auf. In den 70ern spannt Wolfgang Kliege geometrisch gemusterte Textilien im Bauhausdesign auf Keilrahmen. Aus derselben Zeit stammt Günter Weselers große »Atemwand« aus orangefarbenem Akustik-Schaumstoff mit eingebauter Bewegungssteuerung. Die 80er blicken mitunter ironisch zurück auf die Abstraktion – Georg Herold etwa, der unter dem Titel »Holz ohne Raum« einen Satz Dachlatten präsentiert und per Gebrauchsanleitung erklärt, wie sich daraus ein Würfel basteln lässt.
Spannend ist mitanzuschauen, wie es im 21. Jahrhundert weitergeht mit der abstrakten Kunst. Etwa bei Katharina Grosse, deren Spraybilder den Raum erobern. Beim Düsseldorfer Duo Banz & Bowinkel: Im Video bewegen sich die beiden durchs Atelier und scheinen mit Händen und Füßen informelle Farbkörper zu dirigieren. Oder bei Jürgen Staack, der die Abstraktion ins Akustische übersetzt. Über zwei Lautsprecher kann man den Künstler hin und her gehen hören durch knirschenden Schnee in Sibirien. Wer selbst künstlerisch aktiv werden will, tritt am besten vor die Tür in den Garten und rückt zwischen hohem Gras und Margeriten eine von Martin Pfeifles »BARCs« zurecht. Die in Alufolie gewickelten Styropor-Quader sehen abstrakt aus, lassen sich aber ganz gegenständlich nutzen – als Sonnenbänke.
BIS 6. JANUAR 2020
KUNSTHAUS NRW KORNELIMÜNSTER