Das Äußerste, das Höchste körperlicher Begegnung ist, wenn Isolde sich die Anzugjacke Tristans umlegt und wenn Tristan sich in das rote Plaid der Isolde hüllt. Mehr Wirklichkeit erlaubt die Lesart von Patrick Kinmonth nicht. Alles Übrige – man könnte auch sagen: das Wesentliche – findet statt im Raum der Imagination, ist Illusion – »der Traum von Liebe«. Wagners unendliche Melodie übersetzt in eine immerwährende Fantasie. Erzromantisch. Der Mann und die Frau, die der Todestrank gemeinsam töten soll, die aber den Liebestrank trinken, leben, lieben und sterben im Solo. Was macht es da aus, dass der Kelch ein Wasserglas ist und aus dem Kran gefüllt wird? Die innere Anschauung schafft sich ihr eigenen Bild. François-Xavier Roth am Pult des Gürzenich-Orchesters musiziert korrespondierend einen füllig weichen, schwelgenden, emotional triumphalen Wagner.
Kinmonth gibt ungern Ruhe auf der Bühne. Matrosen wechseln Handtücher und reinigen mit dem Mob den Boden. Sieben schmucke Burschen, wenngleich in löchrige Kleider gesteckt, werden in choreografierter Formation von links nach rechts und umgekehrt geschickt. Zwei Doppelgängerinnen der Isolde, ein junges Mädchen und eine gealterte Maid, geistern über die Szene.
Ekstase, Rausch der Lust?
Gelagert vor dem aufgebockten Schiffsunterdeck mit vier spartanisch möblierten, durch gusseiserne Streben separierte Kajüten ragen im Kölner Staatenhaus dreiecksspitze Wellenkämme oder Klippen wie Sperren des Atlantikwalls, über die in schwarz-weißen Projektionen Wasser springt, blinkt und wogt (Bühne: Darko Petrovic). Tristan, ein Melancholiker, tiefschwarz und in sich versunken, dem wir das befremdet Aufgeschreckte in seiner Frage »Wo sind wir?« unbedingt Glauben schenken. Er breitet die Arme aus und öffnet seine Hände wie bereit zum Martyrium. Ekstase, Rausch der Lust? Nein. Ein Diener des Totenkults ist er – so wie Isolde eine Hohepriesterin, die (sich) dem Altar des Eros opfert.
Im zweiten Aufzug, in dem die Nacht der Liebe niedersinkt, lagert Tristan (KS Peter Seiffert, imponierend noch und besonders im Verwalten und Überbieten seiner stimmlichen Grenzen) zunächst außerhalb auf einer grünen Erhebung wie Goethe in der Campagna, bevor beide in getrennten Kabinen nebeneinander sitzen und gerade einmal aneinander vorbeischreiten. Keine irdische Berührung – darin verwandt dem jedoch ansonsten krass abstrakteren Bayreuther Heiner-Müller-»Tristan«. Die selbst verhängte Einzelhaft setzt sich fort im Schluss-Akt, in dem Kurwenal (Samuel Yuon ebenso bravourös wie Claudia Mahnkes Brangäne) kaum mehr die Leidensklage und wunde Pein Tristans erträgt. Als Isolde (Ingela Brimberg furios in ihrem Rollendebüt) erscheint, liegt – nach einer Verwandlung – auf dem Totenbett ein verjüngter Tristan: Idealgestalt ihrer Erinnerung. Nun kann sie, entrückt und verzückt, ganz für sich »Unbewusst, höchste Lust« jubilieren und sich dem Traumbild nähern.
Ist dies aber nun »Böse Ferne«? Schafft nicht die Fantasie »Holde Nähe«? Oder sorgt dieser interpretatorische Blick auf Tristan und Isolde für ein viel, viel größeres sad end als nekrophile Vergottung des bzw. der Geliebten? Glücklich gefangen im Wahn vom absoluten Gefühl, das sich im Realen nicht bewähren muss. Diese Liebe ist nicht lebbar, sie ist allein sterbbar. Ludwig II. von Bayern, der traurige Märchenkönig, hätte Gefallen daran gefunden.
3., 6., 11. und Dernière am 13. Oktober, Staatenhaus Köln, www.oper.koeln