Jetzt ist die Lady ein Tramp. Jasmine kommt am Flughafen von San Francisco an, plappert pausenlos und textet eine alte Dame zu, die froh ist, am Gepäckband das Weite suchen zu können. Das wird so bleiben. Wer redet, ist nicht tot. Eine Selbstvergewisserung. Aber Jasmine fühlt sich sterbenselend. Zumindest den sozialen Tod hat sie erlitten. Die New Yorkerin, verheiratet mit dem Finanz-Jongleur und Hochstapler Hal (Alec Baldwin), der auch seine Frau hinterging und mit ihrer guten Freundin betrogen, zudem das bisschen Lottogewinn-Vermögen seiner Schwägerin verspekuliert hat, flüchtet aus ihrer Ehe-Katastrophe zu ihrer simplen, lauten und prolligen Adoptiv-Schwester Ginger (Sally Hawkins), für die sie sich zuvor zu fein fühlte. So ähnlich kam einst Blanche Du Bois zu ihrer Schwester nach New Orleans: Endstation Sehnsucht oder letzte Ausfahrt Frisco. Am Golden Gate, aber ohne Geld.
Cate Blanchett stakst in Designer-Fummeln und mit Louis-Vuitton-Koffern durch die schäbigeren Quartiere und die zu enge, volle Wohnung von Ginger. Fährt immer noch Taxi, fliegt immer noch First Class, kommandiert immer noch gern andere, rümpft die Nase über schlechten Geschmack, ist kapriziös, anspruchsvoll, etepetete und die mondäne Hochblüte des Finanz-Kapitalismus. So jemand war einmal einer der weißen Schwäne aus Truman Capotes noblem Bestiarium. Nun ist sie die Heldin in Woody Allens neuem Film.
Martinis gegen den Frust
Jasmine muss sich im Prekariat einrichten und sich mit Gingers ordinärem Ex, den beiden Blagen, Gingers neuem Lover und dessen Bier-Kumpel (auch diese Konstellation kennen wir von Tennessee Williams) plagen. Sie macht einen Computerkurs, auf den sie früher mit Migräne reagiert hätte, geht jobben als Zahnarzthelferin und hat sich den Zudringlichkeiten der Patienten und Avancen ihres Chefs zu erwehren. Jasmine spült ihren Frust herunter – mit Martinis. »Liqueur and Pills«, empfahl einst Sally Bowles. Die hatte es leichter. Sie konnte sich frei singen. Auf einer Party trifft sie den Diplomaten Dwight (Peter Sarsgaard) – ein Glücksfall? Unverheiratet und reich. Ihre Zukunft könnte mit ihm in Wien liegen. Tut sie aber nicht. Sie bleibt sitzen. Am Ende auf einer Parkbank. Wirr und derangiert. Nur noch mit sich allein im unaufhörlichen Selbstgespräch. Es ist ein Wahnsinn. Der schwärzeste Woody Allen seit »Verbrechen und andere Kleinigkeiten« und dessen Londoner Satyrspiel »Match Point«.
Lost life: Jasmine erinnert sich zwischendurch (in Rückblenden) und wird zur starren Maske des Erschreckens und des Erkennens angesichts des Abgrunds, der vor ihr gähnt. Für Jasmine könnte der Bankrott ein heilsamer Schock sein. Sie könnte wesentlich werden. Funktioniert aber nicht. So wenig wie für die Mutter der Schwestern in Woody Allens »Innenleben« à la Bergman, die nach der Trennung von ihrem Mann ihr hohle Kultiviertheit zelebriert, bis der Kauf einer schönen Vase nimmer hilft und sie sich umbringt. Jasmine findet keinen Ausweg wie Gena Rowlands in Allens »Another Woman«, der die Literatur und die Psychoanalyse zu Gebote stehen, oder für Mia Farrow als und in »Alice«, die sich durch Hokuspokus rettet. Blanchetts Jasmine ist eine der charaktervollsten, verwegensten und verlorensten, glasklarsten Figuren Allens in dieser kalifornischen Elegie und Verlust-Fantasie.