Im Grund plagt Woody Allen das gleiche Problem, das Charles Chaplin hatte, dessen Tramp in die Jahre kam, um bis zum Clown in »Limelight« zu altern, ohne dass er einen (jüngeren) Ersatzmann hätte finden können für seine ikonografische Figur. Allen hat’s probiert. Gelungen ist es ihm, solange er mit dem Verlauf der Zeit ging und sich wie in »Schmalspurganoven« (2000) und »Scoop« (2006) als komischen Alten inszenierte. Aber seinen wortgewitzten Neurotiker, jüdischen Intellektuellen und Womanizer wider jede Wahrscheinlichkeit auf ein jugendliches Alter Ego zu übertragen, ist stets gescheitert. Weder Owen Wilson noch Jason Biggs, Jesse Eisenberg, Joaquin Phoenix, Justin Timberlake noch – jetzt – Timothée Chalamet entwerfen einen nur annähernd überzeugenden Charakter. Sie sind zu romantisch, zu naiv, zu banal, zu arglos. Oder todernst, wie auch Cate Blanchett in der weiblichen Version »Blue Jasmine«, die sich immerhin brillant selbstbehauptete. So blieb Woody Allens stärkster Film der Spätzeit die psychologische Studie »Match Point«, in dem Jonathan Rhys Meyers einen (ganz anderen) abgründigen, nahezu gewissenlosen, mörderischen Karrieristen spielt, der seine bösen Geister niemals loswerden wird.
Noch ein zweites Problem wird anschaulich in »A Rainy Day in New York«, wenn es darin heißt: »Realität ist was für Leute, die nichts Besseres hinbekommen.« Das eben stimmt nicht. Allen war dann großartig, wenn seine Filme mit einer (imaginierten, übersteigerten) spezifischen Wirklichkeit spielten, aber nicht ins Märchen- und Musical-Land entwischen. Deshalb auch sind »Annie Hall«, »Manhattan«, »Hannah and her Sisters« und »Another Woman« Meisterwerke der Moderne – wie Cézannes Äpfel, würde Woody Allen jetzt vergleichend sagen.
In seinem 49. Film – auf Grund der auch Allen treffenden Metoo-Debatte verspätet in die Kinos kommend – erschöpft sich das Muster und verkümmert zum affektierten Duett: ahnungsloser Collegeboy und ahnungsloses blondes Girl. So viel historischer Abstand zu sich selbst bei fehlender Distanz zum eigenen Ich tun Allen und der Story nicht gut. Verwandte Versatzstücke, Konstellationen, dramaturgische Schleifen und Knoten gibt es bei ihm immer, egal, ob die Geschichten in New York zu Hause sind oder bei Abstechern nach Barcelona, London, Paris Rom, Venedig, egal, ob im Genre Komödie oder in den Tiefen von Bergman-Krisen und Tschechow-Innenleben.
Die Motivik ist nicht das, was stört, sondern deren Anwendung. Da klappert es ziemlich in »A Rainy Day«, auch in den Dialogen. Gatsby Welles (Chalamet), der – alle Ironie zugestanden – an beide (The Great Gatsby und Orson Welles) nicht heranreicht, will ein nettes Wochenende mit seiner Ashleigh (Elle Fanning) verbringen. Sie verlieren sich: sie an drei Celebrities aus dem Filmbusiness (Liev Schreiber, Jude Law, Diego Luna), er mit seiner drolligen (»quaint«) Hochnäsigkeit und kindlichen Neunmalklugheit an eine Blondine und eine Dunkelhaarige. Uns bleiben nur die Straßen von New York im Regen, wie in »Breakfast at Tiffany’s«.
»A Rainy Day in New York«, Regie: Woody Allen, USA 2018, 90 Min., Start: 5. Dezember