Sind wir mit Werner Herzog und Klaus Kinski unterwegs für »Fitzcarraldo«? Jedenfalls tuckert ein Dampfer über den Amazonas und legt irgendwo an in einer Stadt im Urwald mit einem Opernhaus. Einstmals ist Enrico Caruso hier aufgetreten – nun, 1995, wird Luciano Pavarotti hier singen, der tags zuvor ein Konzert in Buenos Aires gegeben hatte. Er selbst sah sich – und wurde so angesehen – als Nachfolger des Volkssängers und seinerzeit berühmtesten Tenors der Welt. Pavarotti, der 1935 geborene Bäckersohn aus Modena, das Kriegskind, der Grundschullehrer, wurde ebenfalls dazu – und mehr. In der medial geweiteten globalen Öffentlichkeit füllte er mit »Friends« wie Carreras, Domingo, Bono, Sting und Stevie Wonder Stadien und Arenen. 1990 fand das erste Konzert der »Drei Tenöre« in Roms Caracalla-Thermen statt.
Zwölf Jahre nach Pavarottis Tod 2007 hat Oscar-Preisträger Ron Howard (»A Beautiful Mind«, »Apollo 13«) eine zweistündige Dokumentation über den Sänger aller Sänger gedreht, die ohne Kommentar auskommt und nur mit Original-Stimmen und -Interviews – von der Familie, Frauen und Töchtern, Mitarbeitern, Kollegen, Bewunderern – sowie mit Bilddokumenten arbeitet. Und mit Musik.
Nach dem Ersten Preis bei einem Wettbewerb in Wales, nach seinem ersten Rodolfo in Puccinis »La Bohème« 1961 und dem Londoner Covent Garden-Debüt in dieser Rolle (als Ersatz für Giuseppe Di Stefano) und nach einer Tournee mit Joan Sutherland (für ihn die Sängerin »mit der unglaublichsten Technik aller Zeiten«) ist er berühmt. Aber noch kein Star, noch nicht »The One and Only«, der er auch dank seiner Manager und Promoter, des gewieften Herbert Breslin und des womöglich noch geschäftstüchtigeren Tibor Rudas, wird, die ihn zum Idol der Massen machen. Ob in den USA, Russland oder China, kannten sie vielleicht die Opern nicht, aus denen Pavarotti Arien sang (wie Donizettis »Regimentstochter mir ihren legendären neun hohen C’s), wohl jedoch den dicken Mann mit dem weißen Taschentuch und dem großen weiten Lachen, das sich bis zum Herzen öffnete.
Pavarotti, das schlichte Gemüt, der Genuss- und Familienmensch, schelmische (»monello«) und gewitzte Talkshow-Gast und Entertainer, Schallplatten-Millionär, begnadete Maestro (wie eine Masterclass an der Juillard School zeigt), der Tenor mit dem reinsten Klang und voller Angst vor jedem Auftritt, Wohltäter, der für Kinder, Kranke und Kriegsopfer riesige Summen sammelte, der emotionale Künstler, der die Oper als Kraftwerk der Gefühle wie kaum jemand sonst zu steuern verstand: Man musste ihn lieben. Gegenüber so vielen Vorzügen eines Menschen gibt es kein anderes Rettungsmittel.
»Pavarotti«, Regie: Ron Howard, GB / USA 2019, 114 Min., Start: 26. Dezember 2019