Ein letztes Winken. Das ist, was bleibt von einem der Jungen, die – beide noch minderjährig – den Bus nahmen, um die Grenze zu passieren: von Mexiko hinüber ins Gelobte Land USA. Zwei Monate später auf dem Polizeirevier blättern die Mütter einen Aktenordner mit Vermissten durch. Darunter ist auch Rigo. Nicht aber Jesús. Wir schauen in das versteinerte Gesicht von Rigos Mutter und dann in das von Magdalena, der Mutter des Jesús, die sich nicht abfindet mit dem Verschwinden ihres Sohnes. Sie beginnt mit Behördengängen, muss Formulare ausfüllen, soll Erklärungen abgeben, am liebsten solche, die weitere Nachforschungen erübrigen.
Duldsam, furchtsam, aber nicht fügsam, sondern entschlossen ist diese schlichte Frau (Mercedes Hernandéz). Andere Frauen sind es, die Magdalena helfen: Rigos Mutter Chuya, die ihr Geld gibt, eine Mutter, die ihren seit langem verschollenen Sohn Diego identifiziert hat, eine Mitarbeiterin des Busunternehmens, die einen Hinweis gibt, der eine Bresche schlägt in das vermauerte Schweigen. »Was geschah mit Bus 670?« dichtet der deutsche Titel schlagzeilenreif, wo das Original – frei von reißerischer Note – ‚Ohne besondere Kennzeichen’ übersetzt heißt.
Fernanda Valadez’ Regiedebüt, das auf den Festivals von Sundance, San Sebastian und, Zürich ausgezeichnet wurde und während der Hofer Filmtage Deutschlandpremiere hatte, begleitet Magdalenas Recherche und führt sie zusammen mit dem Schicksal eines weiteren Teenagers, Miguel, der von den Vereinigten Staaten deportiert wurde und heimkehrt. Aber sein Zuhause ist verlassen, die Tiere sind tot, seine Mutter fort. In der Grenzregion erhoffen sich die zwei Alleingelassenen Antwort. Sie lautet: Menschenhandel, Zwangsrekrutierung, Mord und Gewalt. Gerade weil dies ein Film der stillen Klage statt der lauten Anklage ist, macht er das, was sich in teils magisch verrätselten, von Höllenfeuer illuminierten Bildern ausdrückt, unüberhörbar.
»Was geschah mit Bus 670?«, Regie: Fernanda Valadez, Mexiko / Spanien 2020, 97 Min., Start: 10. Februar