Das deutsche Volkslied vom »Brüderlein und Schwesterlein« endet mit der Zeile »Es wird fein unterm Rasen sein«. Das Totenlied ist auch ein Trostlied. Und wird in diesem Film zum Kunstlied. Sven ist Schauspieler und Star der Schaubühne, seine Schwester Lisa (Nina Hoss) schreibt Stücke und war liiert mit dem Regisseur und Intendanten David (Thomas Ostermeier). Die Mutter (Marthe Keller) lebt großbürgerlich in Charlottenburg mit Theater-Erinnerungen an Grüber, Stein, Zadek etc. Hier bleibt alles in der Familie – der Berliner Kultur-Bohème.
Der Aufenthalt des Patienten nach seiner Knochenmarktransplantation bei der Mama scheitert, bevor er überhaupt angefangen hat. Seine Beziehung zu einem Kollegen (»es war kurz, es war schön und es ist vorbei«) ist gescheitert. Der Poseur Sven Braunschweig – überlässig, maulig, selbstgefällig – wird gespielt vom Poseur Lars Eidinger mit Zausel-Perücke aus dem Fundus auf dem durch die Krebstherapie verursachten Kahlkopf. Er war Hamlet und will die Rolle wieder übernehmen: »Bereit sein ist alles.« Aber Ostermeier, ähm, David, wird abwinken und das Stück absetzen.
Lisa nimmt Brüderlein mit in die Schweiz – zu ihrer Familie. Ehemann Martin (Jen Albinus) soll in dem Kurort ein Eliteinternat übernehmen. Lisa, die dort Literatur unterrichtet, will aber zurück nach Berlin. Luxus-Konflikte, emotionale Krisen, Ehe- und Karriereprobleme – alles auf höchstem Niveau. Es fehlt nicht viel, und man würde sogar das Lazarus-Leiden des Kranken dieser Kategorie zurechnen.
Hätten nicht zwei Schweizer Filmemacherinnen »Schwesterlein« verantwortet, würde das filmische Profil lauten: typisch deutsches Kino der 70er/80er Jahre, wie wir es von Geißendörfer, Hauff oder Helma Sanders-Brahms kannten. Wie aber nur konnte es dieser prätentiöse Fernsehrealismus in den Berlinale-Wettbewerb schaffen? Family-Business für Eidinger und Hoss, die in dem ebenfalls jüngst angelaufenen »Pelikanblut« (siehe September-Ausgabe) mehr zu spielen hatte und von sich sehen lassen konnte. So bleibt kaum mehr als das schöne traurige Titel-Lied und der Satz, dass man einem Schauspieler das Begehrt-Werden nicht nehmen dürfe.
»Schwesterlein«, Regie: Véronique Reymond und Stéphanie Chuat, D / Schweiz 2020, 100 Min., Start: 29. Oktober 2020