Als wäre der Alltag in der Provinzstadt nicht ohnehin mühevoll genug. Die Straße vor der Klinik ist ein Schlammfeld, so dass Krankenbahren und eilige Transporte kaum passieren können, ohne stecken zu bleiben. Ein alter Mann wehrt sich mit Händen und Füßen, sich von einer Ärztin beraten, geschweige, untersuchen oder gar operieren zu lassen und sollte es ihn das Leben kosten. Die Ärztin, Dr. Maryam, ist es müde. Sie hat sich für eine Konferenz in Dubai angemeldet und hofft auf eine Stelle in Riad. Am Flughafen wird sie abgewiesen, weil ihr Reisedokument nicht den Formalitäten entspricht und sie ihren Vater nicht erreichen kann, der über die unverheiratete Tochter traditionell die Vormundschaft hat und sein Einverständnis geben müsste.
Zweigeteilte (islamische) Welt
Wir sind in Saudi-Arabien, und es wundert einen beinahe, dass Maryam überhaupt den Führerschein besitzt und selbständig Auto fährt. Der ahnungslos staunende westliche Blick sieht, wie sich diese streng islamische Welt in zwei vollkommen voneinander separierte Hälften teilt. Das öffentliche Leben, in dem sich Frauen tief verschleiert zeigen, so dass oft nicht mal die Augen frei liegen – und das Leben zuhause, wo sie mit offenem Haar und Freizeitkleidung wie bei uns herumlaufen, oder bei exklusiven Veranstaltungen, zu denen Männer keinen Zutritt haben und sie unter sich und ungezwungen bleiben.
Provokation für Strenggläubige
Nachdem Maryam (Mila Al Zahrani) vergebens bürokratisch verbarrikadierte Türen zu öffnen versucht, um ihrem Arbeitsplatz in der Notaufnahme asphaltierten Zugang zu verschaffen, wird ihr – für sie ganz ungeplant – eine Kandidatur zum Stadtrat angetragen. Möglich ist es! Aber man wird beargwöhnt, verspottet, verdammt, nicht nur vom anderen Geschlecht. Unterstützung bekommt sie dennoch, etwa von ihrer beruflich autonomen älteren Schwester Selma und dem Internet, das Tipps gibt für den Wahlkampf – Videospots, Werbekampagnen und eine Spendengala. Während Maryam sich nicht unterkriegen lässt, ist ihr verwitweter Vater Abdulaziz als Oud-Spieler mit einer Gruppe Musiker auf Tournee – auch dies schon »schamlos« und eine Provokation für strenggläubige Muslime.
»Veränderung ist ein großes Wort.«
Die Regisseurin Haifaa al Mansour erzählt in »Die perfekte Kandidatin« eine ähnlich genau auf die Wirklichkeit eingestellte Geschichte einer sanften Emanzipation wie in »Das Mädchen Wadjda« von 2012, der als erster komplett in Saudi-Arabien gedrehter Spielfilm auf 40 internationalen Festivals eingeladen worden war. Einmal heißt es hier: »Veränderung ist ein großes Wort.« Maryam gibt es lieber kleiner. Auch die Filmemacherin ist klug genug, ihrer Heldin darin zu folgen. Dass die Koproduktion mit Deutschland bei uns ihre Zuschauer findet, ist gewiss, wie es in Saudi-Arabien ausschaut – das weiß Allah.
»Die perfekte Kandidatin«, D / Saudi-Arabien 2019, 100 Min., Start: 12. März 2020