Das Hotel Atlantic an der Hamburger Außenalster kommt vor, wenngleich nur indirekt. Der junge Udo Lindenberg, der kellnert, um seine Brötchen zu verdienen, hört von einem weiblichen Gast, sie bewohne schon seit zwei Jahren ein hanseatisch piekfeines Logis. Aber als Udo sich den Aufenthalt als Dauergast dann leisten kann, ist der Film über ihn nach gut zwei Stunden zu Ende. Es geht der Regisseurin Hermine Huntgeburth um den zwei Jahrzehnte währenden Weg nach Oben, nicht um den Verbleib dort seit fast fünfzig Jahren.
Anders als das gleichzeitig in unseren Kinos laufende Biopic über Judy Garland wird hier nicht vom Schluss her erzählt, mithin also auch vom Scheitern, sondern brav die Streben der Karriereleiter hinauf. Das Fallen ist dramaturgisch nur dazu da, um das Aufstehen zeigen zu können.
Melancholiker, Romantiker, Pathetik
Beginnend mit dem, in Rückblenden immer mal wieder sich neu erbauenden, Elternhaus im westfälischen Gronau (den Link zum Rock’n’Popmuseum in Lindenbergs Heimatort gibt es hier) und dem alkoholkranken, schwer depressiven Vater (Charly Hübner, seinen Ralf-Rothmann-Stoizismus weiter tragend), dessen Erbteil der Junge Udo mitnimmt, um es freilich anders zu verwalten. Der Melancholiker, Romantiker, Pathetiker Lindenberg ist von hierher zu verstehen. In einer Seitenlinie gilt das ebenso für sein patriotisches Deutschtum, das die Brüder und Schwestern ‚Drüben’ einschließt und ihn – gegen den historischen status quo – 1983 so abgefahren sein lässt, dass er den Sonderzug nach Pankow aufs Gleis setzt.
Geprägt durch amerikanische Musik, den Sound von Glenn Miller, Jazz und Rock’n’Roll, auch durch Klaus Doldinger, für den er das Schlagzeug bearbeitet, wird Udo Lindenberg vom Hamburger Kiez aus, von der Reeperbahn und dem Eppendorfer »Onkel Pö«, den Deutschrock, wenn nicht erfinden, so doch auf seine schnoddrige Weise kultivieren. Da steckt sogar, wenn man eine Zeile hört wie »Pack ich meinen Mut unter den Hut«, etwas von der Sachlichkeit des Erich Kästner drin und der unsentimentalen Herzdame Hilde Knef. Das war kommerziell genug für die profitorientierte Musikbranche (Detlev Buck im Pelz als Boss der Plattenfirma Teldec), doch auch so ruppig, eckig und lässig, um als Antistar – oder dessen Legende – durchzugehen.
Auf schwerer Junge gemimt
Klar, es fällt mittlerweile schwer, Udo Lindenberg, dem sich hier Jan Bülow anverwandelt, nicht als seine eigene Reproduktion zu betrachten: vom Hut an abwärts über das zottelige Haar, den Hippie-Style und die komische verwaschen schwarze Mode von Gestern, die müde, verschleppte, wie von LSD benebelte Stimme und die Sprache ihrer Kürzel, Codes und Relikte aus den 60ern und 70ern, wie man sie etwa in Matthias Brandts Roman einer Jugend, »Blackbird«, lesen kann. Udo, der leichte Mädchen »Bordsteinschwalben« nennt und auf schwerer Junge mimt, der die Angst kennt und die Panik bannt, ist sich selbst anekdotisch geworden.
Parallel zu dem Phänomen Udo Lindenberg fällt einem nur noch der zwei Jahre jüngere, 1948 geborene Otto Waalkes ein, der auf die komische Tour geschafft hat, wo Lindenberg gewissermaßen mit weich gespülter Härte auftritt. Solche unverspannte und entspannende Männer brauchte damals die »BRD«, als die 68er-Revolte sich einerseits institutionalisierte und sich zum anderen in die RAF verbog und der schneidige, in Disziplin geübte Helmut Schmidt sich anschickte, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen.
(Zu) viele Rekonstruktionen
Huntgeburth fällt auf die Ikone Lindenberg vielleicht nicht herein, aber gibt ihr nach, indem sie sie nostalgisch zeitkoloristisch umspielt. (Irgendwie ist man die musealen Rekonstruktionen der tempi passati auch müde). Sie lässt ihn bzw. das filmische Alter Ego sein »Ding machen« und nennt den Film, um der Wahrheit die Ehre zu geben, mit dieser heroisch anmutenden Aufforderung auch gleich so. Dieser Udo bricht nicht nur die Herzen der stolzesten Frau’n, sondern soll auch die der härtesten Kritiker knacken.
»Lindenberg! Mach dein Ding!«, Regie: Hermine Huntgeburth, D 2019, 135 Min., Start: 16. Januar 2020