Untersicht. Der Blick aus der Kellerwohnung verfängt sich vor allem an dem besoffenen Kerl, der täglich gegen die Hauswand pisst. Familie Kim ist weit unten, aber wir werden erleben, dass es noch tiefer hinab geht. Das Ehepaar mit Sohn und Tochter ist arbeitslos und findig darin, sich durchzubringen. Alles umsonst – im doppelten Wortsinn. Kostenlos zu telefonieren und im Internet zu surfen etwa, indem man das Netz der Nachbarn anzapft, auch wenn das nur von einem Winkel des schäbigen Badezimmers aus klappt. Als der Freund des Teenagers Ki-woo/Kevin (Woo-sik Choi) ins Ausland geht, empfiehlt er ihn als Nachhilfelehrer an die reiche Familie Park. Die mit Hilfe von Photoshop hergestellte Urkunde ist nicht einmal nötig, um das reizende Töchterchen unterrichten zu dürfen. Deren neunjähriger Wildfang-Bruder, der scheinbar malerisches Talent und Anzeichen zu einem künftigen Basquiat hat, könnte ebenfalls Anleitung gebrauchen. Schon hat Kevins Schwester Ki-jung (So-dam Park) als »Kunsttherapeutin« mit falscher Identität einen Job. Durch raffinierte Intrigen werden der junge Chauffeur und die altgediente Haushälterin ausgetrickst und ausgetauscht.
Freundlich-feindliche Übernahme
Die freundlich-feindliche Übernahme des luxuriösen Traumhauses Park durch Familie Kim – begleitet von barocken Triumphgesängen aus dem Off – ist vollendet, wobei die hysterische Naivität von Misses Park (Yeo-Jeong Cho) Beihilfe leistet. Es ist kein Zufall, dass die Familien Kim und Park jeweils aus vier Personen bestehen und sich spiegelbildlich zueinander verhalten. Ein Klassenkampf ganz ohne Gewalt – vorläufig. Noch wird gelogen, geschlemmt, gefaulenzt, gestöbert. Mindestens drei der sieben Todsünden – Habgier, Völlerei, Neid – sind in »Parasite« versammelt. Zudem mischen sich Trägheit und Zorn darunter. Sogar die biblische Sintflut bekommt einen Auftritt.
Das prekäre Quartett übernimmt die Regie und spielt die Rollen in der Inszenierung ihrer Daily Soap perfekt, ohne dass die Herrschaft merkt, dass sie ‚Schauspieler’ engagiert haben. Aber der Geruch der Armut haftet an ihnen und irritiert die verwöhnten, empfindlichen Nasen der Oberschicht. Der Aufenthalt im Schlaraffenland erreicht seine Frist, als die frühere Haushälterin nachts klingelt, weil sie im Keller etwas vergessen haben will, sich dort hinter einer Geheimtür ein verbunkertes Geheimnis auftut, und die Parks verfrüht von einem verregneten Picknick heimkommen.
Bong Joon Hos realistische Fiktion schafft etwas ganz Seltenes: Stimmungslagen, erzählerische Haltung und Behauptungskraft mit absoluter Sicherheit in der Schwebe zu halten: Satire und Gesellschaftsporträt, gefährlich tückische Katastrophen-Komödie und Lebensdrama zu sein und Irrwitz, Niedertracht, die Perversion des Wohlstands und die Verzweiflung des Elends zur Deckung zu bringen. Aus dem Untergangs-Furor gibt es keinen Ausweg, höchstens den in einen Wunschtraum.
»Parasite«, Regie: Boong Joon Ho, Südkorea 2019, 132 Min., Start: 17. Oktober 2019