Dennoch passiert es, dem Filmtitel zum Trotz. James Bond findet sein Ende. Der Mann – Urbild des Mannes, unabhängig, sexhungrig, sich nehmend, was er will, Blüte um Blüte pflückend – ist Vater geworden. Und ging eine feste Bindung ein. Am Ende des 25. Films der Serie nach Ian Flemings Buchvorlage lässt er sein Leben, man könnte sagen, wegen Genre-unverzeihlicher Fehltritte und Regelverstöße, was auch meint, dass die Zeit über ihn hinweggegangen ist.
Schon einem Agenten Ihrer Majestät erging es ähnlich, dessen Kampftitel in all den Jahren nie zu ›Agent Seiner Majestät‹ angepasst werden musste, weil die Queen ewig zu sein scheint. 1969 hatte sich der glücklose George Lazenby, den eine Eintagsfliege zu nennen die Pietät verbietet, verbürgerlicht und geheiratet (Diana Rigg). Die Strafe erfolgte umgehend.
Auf solch eine Idee wären der virile Sean Connery und der ironische, stets eine Augenbraue mokant hebende Roger Moore nie gekommen. Daniel Craig, der seit 2006 als sechste Doppel-Null und nun in seinem fünften und letzten Film amtiert und agiert, ist der privateste der Leinwand-Bonds, was sich auch an seinen dienstlichen Abenteuern und Handlungsnotwendigkeiten abliest.
Die Kriegseinsätze gegen das finstere kommunistische Moskau, das rätselhafte China, globale Syndikate und Terror, die von Meerestiefen hinab bis hinauf zum Mond reichen konnten, sind persönlicheren Feldzügen und Treffern gewichen, weil auch die Welt eine andere – weibliche, digitale, indirekte, anonyme – geworden ist. Wir sehen diesem Zeit-Vorsprung gegenüber einen aufgerauten, zugleich sensibleren, auch fatalistischen, sein Image gleichgültig betrachtenden, menschlichen und trauernden Bond, der anfangs an einem Grab steht. Craigs Commander scheint vom Hamlet-Komplex berührt worden zu sein. Biografie – ein Leidensmuster.
Auch die Superschurken haben Tradition, von Dr. No, Goldfinger (Gert Fröbe) und Stromberg (Curd Jürgens) bis zu Blofeld, der in »No time to die« in Gestalt des sardonischen Hannibal Lecter-Charme kultivierenden Christoph Waltz wiederkehrt. Überhaupt ist die Besetzung mit Ralph Fiennes, Ben Whishaw und Léa Seydoux als Psychologin Madeleine Swann vom Feinsten. Die Geliebte tauchte schon, wie Blofeld bereits auch wieder, in der Folge »Spectre« (2015) auf, die einige Verknotungen mit Bonds Biografie offen gelegt hatte, und muss ihrer traumatischen Vergangenheit ins Auge blicken.
Noch mehr Technik, noch mehr Tote
In dem fast dreistündigen Film, inszeniert als seinem 007-Debüt von Cary Joji Fukunaga, gerät ein vom Britischen Geheimdienst entwickeltes DNA-Präparat, das als Waffe furchtbar sein kann, durch die Entführung eines Wissenschaftlers in falsche Hände. Das Verbrechensnetzwerk Spectre zieht seine Fäden, scheinbar selbst aus dem Gefängnis heraus, in dem Blofeld einsitzt. Das Thema tödlicher Verseuchung durch die Luft erinnert auch ohne direkte Absicht an die Auswirkungen der Pandemie, die Bond gezügelt und seinen Kino-Einsatz verzögert hat.
James Bond lebt seinen sportiven Ruhestand im karibischen Jamaika, als CIA-Kollege Leiter (Jeffrey Wright) seinen »Bruder« zurückbittet, so dass der den Aston Martin unter der Plane hervorholt und los spurt. Aber Bond hat seinen gewohnten Status fast verloren: »Besucher« steht auf seinem Anzugschildchen, als er in London das Office von MI6 betritt. Die Frauenquote wirkt: Eine dunkelhäutige Doppel-Null-Agentin (Lashana Lynch) läuft ihm buchstäblich den Rang ab und hat für seine ›Anmache‹ nichts übrig als einen müden Blick; eine amerikanische Partnerin ergänzt das Team gegen einen leibhaftigen Luzifer (Rami Malek).
Ein Film, explosiv wie das massiv gezündete Dynamit, mit noch mehr Technik-Spirenzchen vom Tüftler Q, noch mehr Toten, noch spektakuläreren Bildern, Settings und Szenen, mal unter glühender Sonne des auf felsiger Höhe gelegenen italienischen Matera, wo Pasolini schon seinen Film nach dem Matthäus-Evangelium gedreht hatte, mal auf norwegischem Eis spielend, mit markigen Sprüchen (»Die Geschichte verachtet Männer, die Gott spielen«) und selbstreflexiven, von Skepsis verdunkelten Momenten.
Vielleicht muss die Figur sterben, um anders Auferstehung feiern zu können. Ein früherer Bond-Titel lautet »Die Welt ist nicht genug«. Der Titel einer Bach-Kantate heißt »Ich habe genug«. Aus beider Schnittmenge bildet sich »Keine Zeit zu sterben«.
»James Bond 007 – Keine Zeit zu sterben«, Regie: Cary Joji Fukunaga, GB 2020; 163 Min., Start: 30. September