Die versteckte Kamera des Staatsapparats läuft mit und registriert die verbotenen sexuellen Handlungen von Männern auf der Klappe. Was sie tun, ist laut Paragraph 175 »widernatürliche Unzucht« und hat sich von 1872 bis 1994 im Strafgesetzbuch, also über das Kaiserreich und die Nazi-Diktatur bis in die demokratisch reife Bundesrepublik bewahrt. 24 Monate Haft bekommt Hans Hoffmann 1968 für ein ‚sittenwidriges’ Delikt, nicht zum ersten Mal, er saß schon im Dritten Reich ein und wurde 1945 vom KZ direkt in den Bau befördert – Siegermoral der Alliierten und der von rigider Sexualmoral nicht befreiten Deutschen. 1957 erneut und zehn Jahre danach wieder.
Die erbärmliche Zelle hat sich nicht verändert, die Arbeit in der Werkstatt an der Nähmaschine nicht, auch nicht der Knüppeldienst der Wachthabenden und das fühllose, grausame Justizsystem. Nur der rosa Winkel ist verschwunden. Den Mithäftling Viktor aus Österreich kennt Hans ebenfalls schon. Der wollte mit dem »Perversen« anfangs nichts zu tun haben und revoltierte gegen dessen Belegung in seine Zelle. Hier ähnelt »Große Freiheit« der Situation der beiden Zellenbewohner in Manuel Puiz’ / Hector Babencos »Der Kuss der Spinnenfrau«, die wollen auch gar nicht zusammenpassen.
Langsam erkennt der kriminelle Hans, den der Aufenthalt hinter Gittern drogenabhängig werden lässt, in seinem Gegenüber einen Menschen mit Haltung, Courage und gezeichneter Biografie. Er sieht die KZ-Nummer auf seinem Arm und bietet Hans an, sie mit einem Tattoo zu überstechen. Wegen eines Streits auf dem Gefängnishof, bei dem sich Hans für einen ebenfalls schwulen jungen Mann (Anton von Lucke) einsetzt, landet er in Dunkelhaft. Die Einsamkeit ruft seine Erinnerung an die vorangegangenen Strafen und Torturen auf und wie durch eingeschmuggelte Streichhölzer von Viktor ein tröstendes Licht in der Nacht aufschien. Und er erinnert sich an seine große Liebe Oskar (Thomas Prenn), mit dem er Verboten zum Trotz ein gemeinsames Leben zu erkämpfen versuchte. Super-Acht-Aufnahmen von einem Sommertag am See dokumentieren als Kondensat beider Glück. Oskar und eine Art späterer Wiederkehrer im Gefängnis sind für Hans »Gesandte Gottes«. Aber der Partner hält die Repression und traurige Realität nicht aus, obwohl es sogar gelingt, trickreich dem Gefängnisalltag intime Momente abzuringen, und bringt sich um.
Die Kamera in Sebastian Meises beunruhigend gelassen erzähltem Kammerspiel, das gerade durch das scheinbar ungerührte Betrachten des Unrechts und Zerstörungswerks am Menschen wirkmächtig wird, ist ein aufmerksamer Zeuge. Sie registriert jede Regung in den Gesichtern von Frank Rogowski (Hans), Hans Friedrich (Viktor) und Thomas Prenn (Oskar). Es ist die stille Empörung, die in diesen Augenblicken liegt und von diesen Augenblicken entsendet wird, die unsere Empörung wachsen lässt.
»Große Freiheit«, Regie: Sebastian Meise, D 2021, 120 Min., Start: 18. November