Was Umberto Eco für die Literatur, ist Peter Greenaway für den Film. Dass »Der Name der Rose« zeitgleich mit dem seinen Ruhm begründenden historischen Kunstkrimi »Die Kontrakte des Zeichners« erschien, ist mehr als Zufall. Der Semiotiker und Synkretist des europäischen Kinos, Promoter der Postmoderne, die er aber nur wie einen Faltenwurf um seine Schultern drapiert trägt, ist im Grunde genommen ein Sarastro der abendländische Kultur und Bildung. Filme als manieristische Bild- und Buchstabenrätsel eines Künstler-Maler-Regisseurs, dessen barocke Wunderkammern er auch mit den technischen Hilfsmitteln der Gegenwart auffüllt und ins Bizarre wuchern lässt.
Soeben ist der in Wales geborene Brite 82 Jahre alt geworden. Greenaway denkt in Allegorien und Symbolen und folgt der Idee des Gesamtkunstwerks, aber, anders als der wenig ältere Hans-Jürgen Syberberg, nicht aus dem Geist des 19. Jahrhunderts. Er benennt den Revolutions-Regisseur Sergej Eisenstein als »Genie« und stellt ihn neben Michelangelo und Leonardo da Vinci, diese Renaissance-Fürsten und Universalisten, in deren Nachfolge er sich in aller Bescheidenheit einordnet.
Seine eigenen fünf Hauptwerke hat Greenaway kunstgeschichtlich entlang von Malern komponiert: Poussin, La Tour, Gainsborough grundieren »Die Kontrakte des Zeichners«, Vermeer etwa »Ein Z und zwei Nullen« oder Frans Hals »Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber«. Nicht vergessen werden darf die minimalistische (Film-)Musik von Michael Nyman, die das Konzeptionelle mitträgt.
Am Anfang ist die Schrift, am Anfang ist das Meer. Aus alten Pergamenten erfindet sich der Exilant und Eremit Prospero, Shakespeares weißer Magier auf einsamer Insel, die Rache an seinen Feinden, die ihm in Mailand den Thron geraubt hatten. Eine Kopfgeburt – und die Geburt des Dramatischen aus dem Geist des Zauberischen. Aus einem Wassertropfen kristallisiert der Alte, den Sir John Gielgud wie einen weisen Aztekenfürsten spielt, der sich in einem antiken Badehaus heimisch eingerichtet hat, den »Sturm«. Er schreitet durch seine mythische Kulissen-Wunderwelt, die ihr intellektuelles Inventar ausbreitet und einen Mummenschanz veranstaltet wie Goethes »Faust II«. Während sich Greenaway mit dem Digitalen kurzschließt, bereitet er zugleich ein elisabethanisch üppiges Gelage. Vor unseren Augen nimmt er die Illusionsmaschine Film auseinander und setzt sie neu zusammen. Das absolut Artifizielle und Trügerische ist der Schlüssel für Greenaways Blend-Kunstwerke, die in ihren labyrinthischen Verweisungsketten als unendliche Spiegelung funktionieren. Spiel ohne Grenzen, wobei Eros und Tod die zentralen Bezugspunkte bleiben.
»Prospero’s Bücher« ist Greenaways Passagenwerk, das alles mit allem verbindet und dabei weiß, dass alles vergänglich ist, aber ohne mit Shakespeares Worten in diesem seinem letzten Stück sagen zu müssen: »My endig is despair«. Greenaway entfaltet eine kosmische Komödie, luftig wie Traumstoff, die dem Erlöser Prospero selbst Erlösung schenkt, anders als es dem Zeichner Neville in den »Kontrakten« geschieht, der seine Hybris und sein Vertrauen darin, die Kunst reproduzieren und durchschauen zu können und einem Regelsystem zu unterwerfen, mit dem Leben bezahlt.