Soll man bedauern, dass es bei dem einen Film geblieben ist, oder dankbar sein dafür, dass es wenigstens ihn gibt? Beides! Nur einmal hat der große Schauspieler Charles Laughton bei einem Film Regie geführt: »The Night of the Hunter«. Berühmt wurde er durch Rollen etwa als Heinrich VIII., Kapitän Bligh in »Die Meuterei auf der Bounty«, als »Glöckner von Notre Dame« oder Kronanwalt in Billy Wilders »Zeugin der Anklage« nach Agatha Christie sowie als Bühnenstar in London und am New Yorker Broadway. Der 1955 gedrehte Thriller ist ein Juwel des Film noir und zugleich Ausdruck des poetischen Realismus, der von Frankreich aus Einfluss ausübte, etwa auch auf den deutschen Helmut Käutner.
Eine der schrecklichsten Figuren auf der Leinwand ist Reverend Harry Powell, ein Serienkiller und Frauenhasser, der mit der Bibel seine bösen Taten begeht und begründet. Auf eine Faust hat der gottlose Prediger die vier Buchstaben LOVE, auf die andere HATE tätowiert. Robert Mitchum, einer der grundguten, toughen Kerls Hollywoods, konnte so bereits üben für den kriminellen Max Cady in »Çape Fear« sieben Jahre später.
Powell saß in einer Gefängniszelle mit dem Raubmörder Ben Harper, dem er sein Geheimnis abzuluchsen versucht: die Frage nach dem Verbleib der Beute, die verschwand, bevor er gefasst wurde. Harper verrät sich nicht, doch Powell ahnt, dass die 10.000 Dollar bei dessen Familie sein müssen. Harper hatte seinen Kindern John und Pearl den Schwur abgenommen, das Versteck niemandem zu verraten: Das Geld ist in Pearls Puppe eingenäht.
Wenn Powell nachts entlang des Ohio River reitet und der Fährte der Kinder folgt, singt er einen Psalm. Wer sein »Ruhe in des ewig treuen Gottes Arm« einmal gehört hat, wird es nicht vergessen. »Schläft er denn niemals wie andere Menschen?«, fragt sich bang und entsetzt der kleine John, der mit Pearl auf der Flucht vor dem Stiefvater ist, nachdem der ihre Mutter, die Witwe Willa Harper (Shelly Winters), geheiratet und alle Welt mit seinen frommen Sprüchen betört hat. Powell wird sie töten und ihre Leiche im Fluss versenken. Unvergleichlich das Bild, das sie unter Wasser mit ausgebreitetem Haar scheinbar sanft und selig schweben sieht wie eine andere Ophelia.
Malerische Szenen
Gleich Alfred Hitchcock, mit dem sein Landsmann auch gedreht hat, interessiert sich Laughton wenig für die Vorlage, die ruhig ein shady plot sein kann. Die Methode, der Stil, visuelle Transformation, Kamerasprache und das In-Szene-Setzen, das ist die Kunst. Es sind malerische Szenen, die Laughton und sein Kameramann Stanley Cortez, der 1941 mit Orson Welles gearbeitet hatte, entwerfen, inspiriert unter anderem vom Großmeister Friedrich Wilhelm Murnau.
Und so erblicken wir inmitten des Schreckens, der dem eines Märchens nicht nachsteht, die paradiesische Unschuld der Natur. John und Pearl (Billy Chapin, Sally Jane Bruce) haben einen rettenden Kahn gefunden, in dem sie nachts auf dem Fluss ins Ungewisse treiben, während im glitzernden Lichtzauber von Mondsichel und Sternenhimmel Tiere am Ufer huschen, eine Kröte starrt, eine Spinne ihr Netz gezogen hat. Es ist, als könnten wir Humperdincks »Abends will ich schlafen gehn / Vierzehn Engel um mich stehn« aus seiner Oper »Hänsel und Gretel« hören.
Die Kinder finden Schutz und Obdach bei der gottesfürchtigen alten Rachel (Lillian Gish), die auf ihrer Farm verlorene Kinder um sich geschart hat und ihnen ein Heim und Liebe schenkt, aber die ebenso resolut sein kann und weder Tod noch Teufel fürchtet und zum Gewehr greift, wenn es nottut. Sie durchschaut das Bigotte des Satansbratens Powell mit dem öligen Charme. Am Ende sagt Rachel über die ihrem Schutz befohlenen Kinder: »Sie nehmen ihr Kreuz und tragen es.« Draußen schneit es. Es ist das Christfest, aber ein Weihnachten, das von Karfreitag weiß.