Seine Bilder lassen sich, Einstellung für Einstellung, rahmen und jedes für sich betrachten als eigenständiges Kunstwerk. Für Ingmar Bergman war er der bedeutendste Regisseur, »weil er eine Sprache gefunden hat, die dem Wesen des Films entspricht: Das Leben als Traum.« Kein anderer Regisseur des Weltkinos ist ein vergleichbarer Filmmaler wie der 1932 in einem russischen Dorf geborene und 1986 in Paris gestorbene Andrei Tarkowskij.
Hart und kalt traf den Künstler der Vorwurf des »Formalismus« und »Naturalismus«. Wie blind und borniert musste ein Staatsapparat sein, um zu verkennen, dass hier jemand ganz und rein aus der russischen Seele heraus filmisch spricht, was aber auch bedeutet, dass sein geistiger Kosmos dem sozialistischen Realismus vollkommen fern und fremd gegenübersteht.
Tarkowskijs mystisch-religiöse Kultur- und Zivilisationskritik und sein fatalistisches, antimodernes Geschichts- und Lebensbild treten immer schärfer hervor, zumal in seinem Spätwerk »Nostalghia« und »Opfer« mit heiligen Narren als Helden. Nahe steht Tarkowskij seinen Landsleuten Dostojewski, Boris Pasternak und dem ihm gegenüber acht Jahre jüngeren Joseph Brodsky. Bald nach seinem Tod wird Tarkowskij von der offiziellen Sowjetunion unter anderem dadurch rehabilitiert, dass nach ihm ein Asteroid benannt wird und eine Briefmarke mit seinem Porträt erscheint.
Es ist eine sakrale Kunst, die nach Harmonie des Menschen mit der (mütterlichen) Natur und Erde als nährender Urkraft sucht, denn nur von dort lässt sich Erlösung erlangen. Bereits sein erster Langfilm »Iwans Kindheit«, teils noch inspiriert von der »Zweiten Avantgarde« des Sowjetfilms, erhält 1962 den Goldenen Löwen in Venedig. Seine Motive und Themen sind in der Geschichte eines von bissiger Grausamkeit und wildem Schmerz durchdrungenen Jungen im Kampf gegen die deutschen Wehrmachts-Aggressoren bereits angelegt. Für Tarkowskij, der sein Auge geschult hat an Bergman, Bresson und Kurosawa und deren poetischer Schlichtheit, gab es keinen Umweg zur Meisterschaft. Er hat dieses Ziel gleich erreicht.
Der Zeit auf der Spur
Und sich dann doch noch vervollkommnet. 13 Jahre nach »Iwans Kindheit« etwa in »Der Spiegel«. Tarkowskijs radikal subjektive Montage ist der Zeit – sie dehnend oder zusammenziehend – auf der Spur und komponiert aus dem Geiste Prousts eine visuelle Erinnerungspartitur zwischen Lyrik und Drama: ein Arzt, ein Künstlerschicksal, verlorenes Glück mit einer Frau, Kindheit und Kinder überlagern sich auf der assoziativen filmischen Erzähl-Laufbahn oder gleiten nebeneinanderher. Ruhe und Segen der Natur und der Familie (sowie J.S. Bachs Musik) stehen dem Unheil des Krieges gegenüber, wobei das eingesetzte Dokumaterial vom Spanischen Bürgerkrieg, Zweiten Weltkrieg und Maos chinesischer Revolution unter Tarkowskijs Händen ganz zu seinem eigenen wird.
»Der schwebende Mensch«, der sich schon bei Iwan andeutet, wird seine zentrale Figur; wie überhaupt das Kind Überhöhung erfährt, den Stand der Unschuld und paradiesische Reinheit verkörpert, die ihm geraubt wird von der Gewalt. Fließend sind bei Tarkowskij Übergänge von der Wirklichkeitsebene in eine innerweltliche Bewusstseins- und Traumsphäre, untrennbar sind manifeste und latente Filmtextur. Besonders Wasser in jeder Form, ob aus dem Brunnen oder Krug, als Eintauchen in einen Bach oder ins Meer, ist Lebens-Elixier, Symbol des Vergänglichen, schafft Spiegelungseffekte und schillert seinem Wesen nach.
Schwarzweißbilder in »Der Spiegel« von einer jungen Frau, die sich ihr Haar wäscht, während sich der sie umgebende Raum in niederstürzendem Wasser auflöst, sind von unwirklicher Schönheit. Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis. Letztlich handelt Tarkowskijs Werk vom Heimweh nach einem Zustand und einem Ort, die es nie gegeben hat.