»Be a Mensch, a human being«, fordert der jüdische Arzt seinen Nachbarn C.C. Baxter (Jack Lemmon) im »Apartment« nebenan auf. Ein Humanismus, der mit Phrasen und sich in die Brust werfender Rhetorik daherkommt, ist Billy Wilders Sache nie gewesen.
Er betet zum Gott der kleinen Dinge und hat für menschliche Schwächen viel übrig – »Nobody is perfect« lautet das Schlüsselwort in »Some like it hot«. Ein Ideologe der Ideologielosigkeit schon in Wien und Berlin als junger Mann (Jahrgang 1906), der zum Team des ersten deutschen realistischen, semidokumentarischen Films »Menschen am Sonntag« gehörte und in Hollywood blieb, wo er zu einem der größten Filmregisseure und Klassiker des Kinos wurde. Als Meisterschüler von Ernst Lubitsch ein Genie filmischen Erzählens: mit einem Glanzstück der Schwarzen Serie (»Double Indemnity«), Dramen (»Lost Weekend«) und Melodramen (Sunset Boulevard«), der vielleicht schönsten je gedrehten Komödie überhaupt, »Some like it hot«, Gesellschaftsstudien wie eben »Das Apartment«, Märchen (»Sabrina«) und dem herrlich garstig-satirischen Lustspiel »Eins, zwei, drei«. Oft sind es Mischformen, wo es wenig braucht, um von einem ins andere zu kippen.
Herzhafter Pragmatismus
Was manche ihm als Zynismus vorhielten, war Illusionslosigkeit und ein herzhafter Pragmatismus. Seine Filme strömen dennoch ein Wärmeklima aus. So schaut er als jüdischer Europäer auf Amerika, als dessen Staatsbürger er sich sogleich empfunden hat, ohne Dünkel und Sentimentalität. Für Billy Wilder wurde der Identitätsbruch zur positiven Kraft. Das machte ihn hellsichtig für Defizite im American Way of Life und seinem Gesetz der Käuflichkeit, der Reklamekultur, dem hemdsärmeligen Handel mit Emotionen. Zugleich war er aus Erfahrung misstrauisch gegenüber der scheinbar moralischen Überlegenheit der Alten Welt. Wilder interessierte das Verhältnis von Inszenierung und Wirklichkeit, Wahrheit und Ich-Entwurf in der modernen Gesellschaft.
Berlin 1961, das Jahr des Mauerbaus. Als Wilder dreht, ist die Stadt noch nicht geteilt, das Brandenburger Tor offen und politischer Grenzverkehr möglich. Im Westen regiert der Coca-Cola-Kapitalismus des rabiaten Softdrinks-Direktors MacNamara (James Cagney), im Ostteil lassen die Russen, wie in Lubitschs »Ninotschka«, Lenin und Chruschtschow einen guten Mann sein, wenn ihnen ein blondes Fräulein (Lilo Pulver) und andere Annehmlichkeiten offeriert werden. Dazwischen eine ironisch gepfefferte Romanze zwischen dem schmucken Jungkommunisten Otto Ludwig Piffl (Horst Buchholz), der eine nicht nur äußerliche Totaloperation samt gekauftem Adelstitel bekommt, damit er für die Bilderbuch-Yankees vorzeigbar ist und für Scarlett, das Teenager-Töchterchen von MacNamaras Boss, als Bräutigam taugt. Ebenfalls dazwischen: Hacken zusammenschlagende alte Nazis und fixe neue Demokraten, blaues Blut und rote Socken, Illusionen, Lügen, Tricks, Erpressung, Opportunismus, eheliche Entfremdung, Leistungsdruck, Neurosen. Noch während des Drehs kommt Billy Wilder die Realität in die Quere. Walter Ulbricht straft sich selbst Lügen und riegelt seine DDR ab.
Der Film war nun ein heißes Eisen geworden, so dass sich im Kalten Krieg niemand an ihm die Finger verbrennen und die Freiheit zu lachen nehmen wollte. Später dann ist »Ein, zwei, drei« ein Solitär und Unikum geworden und bis heute geblieben, während die Mauer und manch eine Überzeugung in die Brüche gegangen sind.