Seltsam, dass er ihn diese eine Rolle nicht hat spielen lassen: den unersättlichen Lustkörper Casanova, den dann Donald Sutherland als Mechaniker des Eros, beinahe als Prothesenmensch darstellt, reflexhaft unterworfen seinem Trieb, das Wort »Amore« wiederholend ausstoßend, bis es Gestammel wird. Das Lustprinzip wurde selten derart rabiat, erbarmungslos und sarkastisch zum Unlustprinzip erklärt. Aber vielleicht wollte Federico Fellini ‚seinen’ Marcello Mastroianni nicht derart demontieren. Wollte ihn nicht in seiner artifiziell gestalteten Hölle des galanten 18. Jahrhunderts verderben lassen.
Fellinis Alter Ego aus »La dolce vita« und »Achteinhalb«, in denen er zum Inbegriff des Latin Lover, römischer Sinnenfreude, von Eleganz und Bellezza wurde, war aber hinter seiner dunklen Sonnenbrille im Grunde schon dort eine gebrochene Figur, die er in dann, 20 Jahre später, in »Stadt der Frauen« sein wird, wenn es Mastroianni als Snàporaz durch seine erotischen Albträume jagt.
Mastroianni war nie, auch bei Fellini nicht, der unsterbliche Traumheld, als den wir ihn uns vorstellen wollen. Kein Zampanó in Zwirn, kein europäischer Cary Grant, an dem alles abperlt und an dem kein Stäubchen hängen bleibt, sondern ein beladener Spätbürger, teilnahmslos, hoffnungslos, ruhelos. Mastroianni als Wanderer zwischen den Welten, strandend in und an der Moderne, scheiternd an seiner Geschlechterrolle, melancholisch sich erinnernd an eine geordnete Welt, von Angstlust erfüllt und von Todesfantasien. Fellinis »La dolce vita« und Michelangelo Antonionis existentialistisch düstere »La notte«, darin Mastroianni neben Jeanne Moreau spielt, liegen nicht nur zeitlich eng beieinander. Beide Filme, Monumente der aufziehenden Veränderung, beenden die fünfziger Jahre und symbolisieren Aufbruch und Revolte der Sechziger – mit all ihren Folgen.
Keine Lust bekommt Ewigkeit
»Das süße Leben« erhielt 1960 in Cannes die Goldene Palme. In der Jury sitzen zwei Erotiker der Weltliteratur: Georges Simenon und Henry Miller. Sie haben verstanden, was Fellini zeigt: das Sittenbild, das das Sinnliche feiert und es zugleich dem Vergeblichen überantwortet. Denn keine Lust bekommt Ewigkeit.
Mastroianni altert mit seinem Regisseur, der mit Giulietta Masina verheiratet ist, seiner Gelsomina aus dem Welterfolg »La Strada« von 1954, der als Melodram dennoch kein Verrat am Neorealismus ist, sondern ihm nur eine zweite Farbe hinzufügt: die des Herzbluts. Der Zirkus, die Artisten, Clowns, Musiker, Schausteller und Schauspieler sind für Fellini lebenslang Realität gewesen, nicht bloß Metapher. 1986 bringt er die Zwei zusammen, den Prototyp Mann und was aus ihm wurde, und die Frau, die keine Anita Ekberg, keine Lollobrigida und Loren ist, sondern eine feine kluge Dame. In »Ginger und Fred« spielen Masina und Mastroianni ein altes Künstlerpaar, das in seinen besten Jahren die Amerikaner Rogers & Astaire imitiert hat und für einen solchen Auftritt noch einmal zusammenkommt. Allerdings in einer der grässlichen italienischen Fernsehshows, laut, bunt, vulgär nach Berlusconis Geschmack.
Das noble Illusionstheater, das Fellini zuvor noch einmal in »E la nave va« (Schiff der Träume) ausfahren ließ, gibt es nicht mehr. Es wurde verramscht. Mastroianni ist der abgehalfterte Entertainer, bejahrte Nummern-Boy und streunende Zirkusgaul, halbseiden, lüstern, rührend in seinen Versuchen, gewinnend zu sein, während Masina sich ins bürgerliche Leben verabschiedet hat. Das Vergängliche, hier wird’s Ereignis.