Bester Film, beste Regie, beste Hauptdarstellerin: Mit drei Oscars wurde „Nomadland“ von Chloé Zhao mit Frances McDormand ausgezeichnet, der am 1. Juli die deutschen Kinos wiedereröffnet.
Wenn man sich „Nomadland“ philosophisch nähern wollte, würde Georg Lukacs sich anbieten, der von der „transzendentalen Obdachlosigkeit des Menschen“ spricht. Fern, die fiktive Heldin in dem semidokumentarischen Film von Chloé Zhao, der in diesem Jahr drei der wichtigsten Oscars gewann, u.a. auch für Frances McDormand, antwortet auf die Frage eines Kindes, sie sei nicht obdachlos, bloß hauslos. Nicht sesshaft zwar, aber nicht heimatlos, ließe sich auch sagen – oder romantisch-idealistisch gesonnen: über sich den gestirnten Himmel. Denn das weite Land ist geblieben vom ausgeträumten Traum Amerika. McDormand spiegelt diese gefüllte Leere im Verwitterten ihres Gesichts, über das zwischendrin immer wieder etwas Schalkhaftes und schwermütig Couragiertes blitzt.
Allein, romantisch ist es nicht, was die von chinesischen Vorfahren abstammende amerikanische Regisseurin erzählt. Es braucht zumeist einen Bruch in der Biografie, der radikale Veränderung auslöst. Fern ist seit kurzem Witwe, das Haus in Empire / Nevada für sie kein Zuhause mehr, seit der Ort gewissermaßen von der Landkarte verschwindet, nachdem der große Arbeitgeber der Kleinstadt dicht gemacht hat.
Ihre nomadische Existenz als Zeitarbeiterin beginnt, unterwegs im Kleintransporter, von Station zu Station, von Mensch zu Mensch, von Job zu Job, als Erntehelferin etwa oder Lageristin, obgleich überqualifiziert für diese einfachen Dienstleistungen. Angebote zu bleiben, die von ihrer Schwester oder einem Mann kommen, lehnt sie ab. Fern ist kein Sozialfall, vielmehr Randfigur im sozialen Gefüge. Eine von vielen modernen Nomaden, die vom Existenzminimum leben und wie in einer Art Urchristentum oder ideologiefreiem Kommunismus einander beistehen. Es sind Nachfahren von John Steinbecks Farmern aus den bösen Jahren der Großen Depression.
„Nomadland“ erzählt in seiner Episodenfolge auch Geschichten, kostet auch von den „Früchten des Zorns“, aber will vor allem eine Stimmung vermitteln, will weniger Zustandsbeschreibung sein, als eher eine Strömung erfassen. Ein Roadmovie, ja, gewiss, aber noch näher Anschluss suchend bei den großen fotografischen Recherchen über die „Family of Men“ eines Ansel Adams oder Robert Frank.
„Nomadland“, Regie: Chloé Zhao, USA 2020, 108 Min.; Start: 1. Juli