Kein Gender-Sternchen und angehängtes -in und -innen. Die männliche Zuweisung ist rechtens – und gerichtsfest. Wir sind dem Täter auf der Spur. Der Film von Maria Schrader, ihre erste von Hollywood realisierte Produktion nach ihrem Erfolg mit der Netflix-Miniserie »Unorthodox«, könnte auch »In den Gängen« heißen. Wir werden Zeuge von Telefonaten, Diskussionen und Konferenzen, sehen Arbeitstische, Korridore, sich schließende Türen.
Basierend auf dem Buch der investigativen Journalistinnen Megan Twohey (Carey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kaztan) begleitet er deren Recherche für die New York Times, die nach dem Artikel am 5. Oktober 2017 zur Verhaftung und 2020 zur Verurteilung des Filmproduzenten Harvey Weinstein führen und weltweit die MeToo-Bewegung auslösen. Also ein Fall von spektakulärem, im Dienst der Aufklärung stehenden und mit dem Pulitzer-Preis gekrönten Enthüllungsjournalismus, wie es »Die Unbestechlichen« über den Watergate-Skandal (Alan J. Pakula, 1976) und »Spotlight« über den Missbrauch durch katholische Priester und das mitwissende Schweigen der Kirche in den USA (Tom McCarthy, 2015) vorgemacht haben.
Die Beschäftigung Hollywoods mit sich selbst hat in der Vergangenheit oft zu Filmgeschichten geführt, die über das Filmemachen selbst erzählen, die Hollywood Babylon mit wohligem Schauder jedoch letztlich zementieren und nicht zum Einsturz bringen: ob Billy Wilders »Sunset Boulevard«, Vincente Minnellis »Two Weeks in another Town«, »Große Lüge, Lylah Clare« von Robert Aldrich oder Sydney Pollacks »The way we we«, um nur ganz wenige Beispiele zu nennen. Beim Prinzip Weinstein hat Hollywood sich lange, lange Zeit taub, blind und stumm gestellt: schuldig geworden durch Unterlassung. Mittlerweile ist bekannt, dass Brad Pitt, der selbst »She Said« produziert hat, oder etwa Quentin Tarantino Bescheid wussten.
Eine Stimme für die Frauen
»She Said«, auch der Titel des Buches von Twohey / Kantor, ist klug gewählt. Er verweist auf die Perspektive der Opfer – jungen Schauspielerinnen, Models, Angestellten Weinsteins, darunter Ashley Judd und Gwyneth Paltrow –, gibt ihnen eine Stimme, sorgt dafür, dass sie sich im therapeutischen und emanzipatorischen Sinn ‚freisprechen’ können, nicht mehr mundtot gemacht werden.
Und er meint ebenso, wie sehr die auch psychisch belastenden journalistischen Untersuchungen, die Interviews mit ihren krassen Schilderungen, der Qual der Opfer und dem Erkennen, was die Taten mit ihnen nachhaltig gemacht haben, das Überwinden von Widerständen aus Angst, das Suchen nach Beweisen bis zur Erschöpfung die Reporterinnen mitnehmen und ihren familiären Alltag als Ehefrauen und Mütter herausfordern und überfordern.
Es braucht nur den Blick hinter Büro- oder Hotelzimmertüren, es genügen am Boden liegende Kleidungsstücke und Gegenstände aus einer Handtasche, ein Bademantel auf einem Bett, das Geräusch einer laufenden Dusche und das gesprochene ‚Nein‘ einer Frau. Optische und akustische Verweise mit Signalwirkung, um Missbrauch, Vergewaltigung, Nötigung, Erpressung und Schweigegeld-Zahlungen aufzuzeigen. Die Tat selbst bzw. die Dominanz-Demonstration (Mike Houston als Weinstein), die ein nahezu absolutistischer Tycoon zum System machte, auf der einen Seite, die direkte Demütigung der Zeugnis ablegenden Opfer bleiben ungesehen. Es wäre eine neuerliche Vorführung durch die Kamera gewesen, unabhängig davon, ober hinter der ein Mann oder eine Frau gestanden hätten. Maria Schrader zieht diese Grenze: eine Tabuzone aus richtig verstandenem Schamgefühl.
Auch darin – in der sachlichen, Emotionalität eher neutralisierenden, manchmal zwar langatmigen, dennoch intensiven Konzentration – sind die Dramaturgie von Schraders Adaption und das Drehbuch von Rebecca Lenkiewicz weiblich. Das Funktionieren des eminenten Machtgetriebes von Harvey Weinstein und das Funktionieren des publizistischen Apparates Öffentlichkeit stehen einander gegenüber. »Publish« als moralischer Code, der uns die Augen geöffnet hat.
»She Said«, Regie: Maria Schrader, USA 2022, 129 Min., Start: 8. Dezember