Einfach so? Bloß ein Thriller um eine Gangsterbraut? Und das von John Cassavetes, dem großen Nonkonformisten und Freigeist des US-amerikanischen Independent Cinema, dem Schauspieler, Regisseur, Autor, Produzenten und experimentellen Künstler? Nein, natürlich nicht: einfach so. Aber dann wiederum doch – rasant und atemlos durch New York.
Eine Frau und ein Mann, eher ein Männlein, ein Kind, ein Früchtchen, aber in seinem Selbstverständnis und Selbstbehauptungswillen eben doch schon Mann, der den Machismo als Latino-Erbe mit in sein stolzes kleines Leben bringt. Jack (Buck Henry), der Knirps, soll umgebracht werden, wie zuvor die Eltern und Geschwister. Der Vater, Buchhalter eines Syndikats, hat die Bosse betrogen. Vorher liefert die Familie Jack bei Gloria ab, die nebenan wohnt. Die ist nicht begeistert, will ihre Ruhe, endlich ihr Leben dank der zurückgelegten Dollars genießen und hat ihre eigenen Pläne. In die passt Jack nicht. Aber als der Killer kommt, ändert sie sie. Und weil sie das Milieu kennt, die Ex-Geliebte des Ober-Gangsters war und cleverer ist, als dessen miese Handlanger des Todes, weil sie Tricks drauf hat und Gefahren wittert, die richtigen Adressen kennt und auch weiß, wie mit einer Pistole umzugehen ist, läuft es gut für Gloria und Jack. Aber die Zeit läuft gegen sie.
Gloria, der Name passt – ein Flammenkranz umgibt sie, nicht nur wegen der Mähne goldenen Haars. Gena Rowlands ist die Gegen-Göttin zu den Ikonen Hollywoods, nicht kaputt zu kriegen, ein Tramp, eine Kämpfernatur, vital, sensitiv, vibrierend vor Intelligenz, schimmernd in ihrer Sinnlichkeit, als wäre sie sowohl eine Schwester der etwas älteren Lauren Bacall wie auch der etwas jüngeren Kult-Intellektuellen Susan Sontag. Ein Schuss Southern Belle, aber viel mehr Ostküste (dabei wurde sie als Virgin Cathryn Rowlands 1930 in Wisconsin geboren).
Cassavetes, ein Heroe des Direct Cinema, in das er die Stanislawski-Methode des Theaters eingearbeitet hat, und Rowlands waren ein reales Traumpaar und bis zu Rowlandsseinem Tod 1989 verheiratet: nicht nach dem Muster Meister und Modell, sondern einander ebenbürtig und gleichberechtigt. Gemeinsam haben sie zwischen 1959 bis 1984 ein halbes Dutzend Meisterwerke gedreht, nahe am Menschen, zärtlich und brutal, kühne Erzählungen in improvisatorischem Wagemut und mit der Kamera als Lupe, darunter »Shadows«, »Opening Night« (einem der schönsten und grausamsten Filme über eine Schauspielerin, Myrtle Gordon, und ihre Krisen, ihren Zweifel und ihrem Taumel in die Nacht), »A Woman under Influence« und zuletzt »Love Streams«.
»Gloria« ist sehr 70er, auch wenn der Film von 1980 ihnen mit grandioser Geste das Ende bereitet: ruppig und räudig, ein bisschen vulgär, nicht vom Feinsten und doch glamourös. Gena Rowlands leuchtet darin wie der Abendstern. Die Geschichte endet auf dem Friedhof. Der Tod ist immer da, wenn zwei Menschen sich gefunden haben und so gern beieinander bleiben würden. Manchmal gebietet ihm die Liebe Einhalt – jedenfalls stellen wir es uns so vor.
Wir wollen nicht vom Kino ablenken, sondern zum Kino hin, zu dem, was es war, ist und wieder sein wird. In jeder Ausgabe – nun zum dritten Mal – stellen wir einen Klassiker des deutschen und internationalen Films vor, der nicht unbedingt zum Kanon gehört, aber eine Rarität und Kostbarkeit ist. Bei einem der vielen Anbieter lassen sie sich ausleihen, als DVD kaufen, zur Not bei youtube besichtigen. Nur Netflix-Serien zu schauen, verengt den Blick, wir möchten ihn weiten, um demnächst auf der Kino-Leinwand besser zu sehen.