Er selbst bezeichnet sich als »ganz kleinen Fisch im großen Meer«. Das Bild (nicht das Understatement) trifft es. Ein Leben auf stürmischer See, nicht nur metaphorisch gemeint, sondern im ganz konkreten Sinn. Walter Kaufmann hat sich – auch – als Seemann verdingt; und es trieb ihn um und um, von Berlin bis Kuba, an den Mississippi, ins »Gelobte Land« Israel, bis Auschwitz – und zurück. »Wohin und zurück« nannte Axel Corti seine verfilmte biografische Trilogie eines Emigranten. »Stimmen im Sturm« heißt ein Roman von Walter Kaufmann.
Berliner, Jahrgang 1924, geboren in der Mulackstraße im armen jüdischen Scheunenviertel, wird der kleine Junge von der Mutter zur Adoption freigegeben, so kommt er nach Duisburg, in eine Villa am Kaiserberg und eine wohl behütete Kindheit. Der Vater ist ehemaliger Weltkriegs-Offizier, Rechtsanwalt und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde. Bald beginnen die dunklen Jahre.
Ein Mann mit Brecht-Mütze und Biermann-Schnäuzer, so zeigt ihn ein frühes Porträt. Der betagte Walter Kaufmann trägt Bartschmuck und Kappe immer noch. Als wacher und wachsamer Zeitzeuge, den es an wesentliche Schauplätze des Jahrhunderts geführt hat, berichtet er: von seiner Schulzeit, dem aufziehenden Nationalsozialismus, Drangsalierungen, Berufsverbot, der Entfernung jüdischer Schüler vom Gymnasium, Pogromen, bei denen auch das Kaufmann-Haus zerstört wird. Der Vater wird ins KZ Dachau verbracht – und ist bei seiner Rückkehr ein anderer, schweigsam gewordener Mann.
Der 15-jährige Walter kann mit einem »Kindertransport« nach England ausreisen; die Eltern, auch Freunde bleiben zurück. »Mutti« Johanna tröstet der Sohn mit den gut gemeinten Worten: »Du musst nicht traurig sein, ich bin ja gar nicht dein Kind«, was sie sehr bestürzt und ihn als Szene bis in die Gegenwart begleitet. Mit Ausbruch des Krieges werden Deutsche – auch die jüdischen – als enemy aliens interniert.
Flucht in den antifaschistischen Kampf
Wir kennen die Schicksalsfragen aus der Literatur, ob Klaus Manns »Vulkan« oder Lion Feuchtwangers »Exil«, ob Stefan Zweig, Hermann Kesten und Hans Sahl und wie viele mehr: Pass, Visum, Fluchtrouten, Ausreise, welcher Staat nimmt den Exilanten auf, wann ist es zu spät … So ergeht es auch Walter Kaufmann.
Im September 1940 erreicht er Sydney mit nichts als »Hose, Hemd und Schal«. Wieder Internierung, tausend Kilometer entfernt in einer Wüstenei. 2000 Personen leben dort: das Lager eine eigene kleine Selbstversorger-Stadt. »Offenen Auges« flüchtet er in die Armee und in den antifaschistischen Kampf, avanciert zum Education Officer, arbeitet in unterschiedlichen Jobs, darunter eben auch als Seemann, nähert sich über sein politisches Engagement in der Gewerkschaft dem Kommunismus, beginnt zu schreiben, zu publizieren, gründet einen eigenen Verlag, gewinnt Preise, reist zu Kongressen, begegnet Schriftstellern wie der bewunderten Anna Seghers. In den fünfziger Jahren kehrt er auf kurze Zeit ins Ruhrgebiet zurück, im Auftrag der Partei. An die Eltern, die über Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden, erinnern heute zwei Stolpersteine vor dem Haus.
Der 100-minütige Film »Welch ein Leben!« von Karin Kaper und Dirk Szuszies, ein Projekt des Internationalen Auschwitz Komitee, tourt seit Jahr und Tag durch Kinos und Schulen. Kaufmanns eigene Erzählstimme und vorgetragene Texte aus seinen Büchern begleiten zeitgeschichtliche Dokumentaraufnahmen, Fotografien, auch Filmszenen, sie kleiden den Erzählraum aus, bebildern, kommentieren, sorgen für Kolorit. Walter Kaufmann aber beherrscht das Zentrum – bis zum letzten Wort.
Ein Mann, der die Frauen liebt
Sein Rundherum geht weiter. Zunächst um Hiroshima zu besuchen, lernt er Japan kennen und lässt sich als »willkommener Gast« dann in der DDR nieder, in seiner Geburtsstadt, als Schriftsteller. Seine australische Frau Barbara folgt ihm, das Paar trennt sich, er verbindet sich um 1960 herum mit der Malerin und Schauspielerin Angela Brunner, sie heiraten 1961. Walter Kaufmann ist auch ein Mann, der die Frauen liebt, in späteren Jahren sind es sogar zwei nebeneinander.
Während Angelas Schwangerschaft (sie werden zwei Töchter, Rebekka und Deborah, haben) führt es Walter nach Kuba und zu Fidels Revolution, wo demnächst die Krise zwischen Russland und den USA beinahe zum Dritten Weltkrieg geführt hätte, der heute wieder möglich scheint. In Havanna findet er den Sozialismus, den er sich vorgestellt hatte, aber erkennt zugleich die sozialen Nöte und Schwierigkeiten. Parallel wird in Berlin die Mauer gebaut. Wenige Jahre danach ist er in den USA und schreibt Reportagen über die schwarze Bürgerrechtsbewegung und ermordete Opfer des Ku-Klux-Klans in den Südstaaten und beobachtet in Kalifornien den Prozess gegen Angela Davis. Am Rande einer Solidaritätsveranstaltung mit der »schwarzen Rose« Davis sehen wir auch Manfred Krug singend auf einer Bühne in Ost-Berlin. In späteren Jahren ist Kaufmann als Pen-Generalsekretär für die DDR in aller Welt unterwegs. Das Ende der zweiten deutschen Republik empfindet er als schmerzenden Einschnitt und als Verlust die schwindende Bindekraft der Linken. Walter Kaufman, bis zuletzt unermüdlich aktiv und überzeugungsstark als Jude, Bürger, Bekenner und Berichterstatter, stirbt am 15. April 2021 in Berlin.
Termine:
Espelkamp, Elite Kino, 23. Oktober,
Minden, Filmtheater Die Birke, 24. Oktober,
Detmold, Kino Kaiserhof, 25. Oktober,
Wuppertal, Rex-Filmtheater, 26. Oktober,
Mönchengladbach, Kino im Haus Zoar, 6. November,
Langenfeld, Rex Kino, 7. November,
Mettmann, Weltspiegel, 9. November,
Köln, Cinenova, 10. November,
in den jeweiligen Städten gibt es auch Schulaufführungen;
interessierte Schulen können sich direkt melden bei:
Karin Kaper Film
Naunynstr.41a
10999 Berlin