Diesen Moment wird niemand vergessen, als bei der Inauguration von Barack Obama zum US-Präsidenten 2009 vor dem Kapitol mit der wehenden Stars and Stripes-Flagge sie »My Country, Tis of Thee« sang: die Queen of Soul, Aretha Franklin, damals 67 Jahre alt. In ihrer Stimme lagen das ganze Leid und der Triumph des nicht-weißen Amerika.
»Komm, Re, sing unseren Freunden etwas vor«, fordert Reverend C.L. Franklin (Forest Whitaker) seine längst schlafen gegangene kleine Tochter auf; sie steht auf und folgt ihrem Herrn Vater brav zur Partygesellschaft ans Klavier, wo unter anderem Ella Fitzgerald, Dinah Washington, Duke Ellington und der Gospel-Sänger James Cleveland dem Mädchen (Skye Dakota Turner) zuhören. Wir sind in Memphis, Tennessee um das Jahr 1950. Das gastliche Haus ist ein Ort der afroamerikanischen Community, Martin Luther King gehört zu den Freunden und Gästen des ihn auch beratenden Pastors. Die kleine Aretha singt »My Baby likes to Bebop«, so wie sie sonntags in der Kirche die baptistische Gemeinde musikalisch begleitet. Denn ihre Stimme gehöre »Gott allein«, sagt ihre Mutter in New York, die von der Familie getrennt lebt und sehr früh stirbt.
Mit dieser Szene beginnt »Respect« der Südafrikanerin Liesl Tommy über die Sängerin, die in ihrer Person und Biografie die Synthese des Südens, von Harlem, Las Vegas-Glamour und von Washington mit seiner politischen, sozialen und kulturellen Elite, die Synthese von Christentum, Showbusiness, Bürgerrechtsbewegung und weiblicher Emanzipation geschafft hat.
Der Teenager wird – nach einer Vergewaltigung im Elternhaus – bereits mit 12 Mutter und bekommt zwei Jahre später ein weiteres Kind. Traum und Trauma sind in Aretha Franklins Leben nicht voneinander zu lösen. Die Vaterbindung, der die Karriere seiner Tochter steuert, setzt sich in der von Gewalt und Dominanz geprägten Ehe mit dem Manager Ted White (Marlon Wayans) fort.
Heilung aus dem Geist der Musik
Der Befreiungskampf Arethas aus dem Bann der »Dämonen«, wie der Film es verschleiernd nennt, bestimmt ihre Jugendjahre, der sich parallel in einem weiteren Kapitel als Auseinandersetzung mit ihrer Schallplattenfirma Columbia Records fortschreibt, die sie verlässt, um sich als Künstlerin und Person of Color eigenständig zu entwickeln.
»Amazing Grace«. 1972 entscheidet sie sich gegen Widerstände (»I need a change«), in einer Kirche ein Live-Gospel-Album aufzunehmen. Es wird ihre Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit und die Heilung von deren Wunden aus dem Geist der Musik, die bei Franklin eine andere Genese, Farbfülle und Charakteristik hat, als die hochtourig laufende Motown-Maschine mit ihrer Leading Lady Diana Ross.
»Respect« lässt in zweieinhalb Stunden zwei Jahrzehnte lang eine Station auf die nächste folgen und dabei zu viel offen, um in seiner konventionellen, zwar aufputschenden, aber eben auch reißerischen Dramaturgie das Extreme und Besondere dieser Frau, Künstlerin und Afroamerikanerin zu erfassen. Und vernachlässigt auch die Frage, inwiefern sie nicht auch die Erfolgsideologie der herrschenden US-Gesellschaft adaptiert hat und somit ›systemrelevant‹ wurde. Franklins Krisenbewusstsein steht dabei durchaus im Kontrast zur radikalen Aktivistin Angela Davis, auch wenn sie für diese eintrat. Eine Beziehung, die vielleicht von fern der von Martin Luther King und Malcolm X ähnelt.
Jennifer Hudson, die Aretha Franklin spielt und singt, tut dies gewissermaßen mit deren Segen, denn das ›Original‹ hat noch vor ihrem Tod, 2018 in Detroit, ihr Einverständnis mit dem Film und seiner Interpretin gegeben. Dass »Respect« dieses Leben aus den Songs heraus deutet, ist richtig. Aber kann doch nur Nachahmung bleiben. Wenn Aretha Franklin 2016 »(You Make Me Feel Like) A Natural Woman«, diese Hymne des Widerstands und der Selbstbehauptung, als Tribute für Carole King in Anwesenheit der Obamas singt, überstrahlt ihre hoheitsvolle Würde die Gloriole des Starruhms. Da erleben wir den Auftritt einer regierenden Königin, die allerdings durch ihre eigene Revolution zur Herrschaft gelangt ist.
»Respect«, Regie: Liesl Tommy, USA 2021, 147 Min., Start: 25. November