Unser Film des Monats: Im Animationsfilm »Das Flüstern der Felder« malen und erzählen DK und Hugh Welchman die Geschichte einer jungen Bäuerin im ländlichen Polen gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Zu den populärsten Filmen im Deutschland der fünfziger und sechziger Jahre gehörten die Romanadaptionen der »Geierwally« und von Trygve Gulbranssens zwei Bänden »Und ewig singen die Wälder« und »Das Erbe von Björndal«: schwerblütige Familienchroniken um böse Lust, Schuld und Sühne im bäuerlichen Naturzustand und die Feier der heiligen Erde und ihres immerwährenden Kreislaufs. Daran knüpft, wohl ohne es zu wollen, »Das Flüstern der Felder« an, angesiedelt im ländlichen Polen gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Ein Werk, kombiniert aus Real- und Animationsfilm und wie gemalt, was hier nicht metaphorisch gemeint ist, sondern ganz konkret. Er stammt vom Regie-Ehepaar DK und Hugh Welchman, die mithilfe einer Hundertschaft von Künstlern schon zuvor mit »Loving Vincent« die Gemälde Van Goghs auf die Leinwand übertragen und damit einen Kino-Welterfolg erreicht haben; gewissermaßen parallel zum Boom immersiver Ausstellungen, in denen sich etwa in Monets Garten, in Dalís surreale Traumreiche, Gustav Klimts Goldglanz oder eben auch in Van Goghs impressionistische Farbballungen virtuell eintauchen lässt.
Idyll und harte Wirklichkeit
Der kunstgeschichtliche Vorgänger zum sich schon ankündigenden Impressionismus war die Genremalerei, die Anfang des 19. Jahrhunderts wieder zur Blüte kam, aber nicht allein biedermeierliches Idyll und bürgerliches Behagen nachzeichnete, sondern als sozialer Realismus auch eine harte, krasse, elende Wirklichkeit abbildete. Beides findet sich in »Das Flüstern der Felder«, angelehnt an den Roman »Die Bauern« des polnischen Literaturnobelpreisträgers Władysław Reymont.
Die junge Jagna (Kamila Urzedowska) liebt Antek (Robert Gulaczyk), den verheirateten Sohn des reichsten Mannes im Dorf. Sie wird von ihrer Mutter an dessen verwitweten Vater Boryna (Miroslaw Baka) verschachert, der Antek und die Seinen verstößt und sie aus dem Elternhaus vertreibt. In dem dörflichen Ort liegt alles vor den Augen der Leute offen zutage, Neugierde, üble Nachrede, Argwohn und Missgunst geben den Ton an – und das Patriarchat, in dem ein Mann sich nimmt, was er will; wenn sich aber sein Stolz gekränkt fühlt, vergisst er jeden Anstand und jedes Gebot.
Erzählt entlang der vier Jahreszeiten, beginnend mit dem Herbst, entfaltet sich die düstere Geschichte, die auch von Unterdrückung der Bauern durch die Gutsherren, von Aufbegehren und Niederwerfung berichtet, um dann wieder ins sagenhaft Fantastische hinauszudrängen. Manchmal meint der Betrachter, den Bauern-Bruegel, dann wieder den Stil der Düsseldorfer Malerschule oder der Schule von Barbizon zu erkennen, hier den Pinsel von Max Liebermann, dort die blauen Stunden von Edvard Munch, mal Goyas rebellische Wut oder die herbe Wahrheit der Kollwitz.
Stall und Spinnrad, Ackerkrume und Gewitterhimmel, Ofenwärme, Kerzenschein, Kirchgang und Hochzeitstanz, Brauchtum und Tradition, alles mischt sich. Ein Mummenschanz der sogenannten »Nachtschwärmer« gibt der Leidenschaft von Jagna und Antek Gelegenheit und schürt die Eifersucht des Alten. Schließlich wächst der nahezu heidnische Hass der Dorfgemeinschaft auf die ‚Andere’. Sie rottet sich zur Hexenjagd zusammen, bis am Ende der Regen Jagna reinwäscht und sie, die Unschuld vom Lande, das Vergangene hinter sich lässt. ****
»Das Flüstern der Felder«, Regie: DK und Hugh Welchman, Polen / Serbien / Litauen 2023, 110 Min. Start: 12. September