Film des Monats: »In Liebe, Eure Hilde« von Andreas Dresen erzählt von der NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi.
Fast, als ginge es in die Ferien. So packt Hilde ihren Koffer, der freundliche Beamte rät ihr, etwas Warmes hineinzulegen. Vorsichtig, nachdem er höflich gefragt hatte, befühlt er ihren Schwangerschaftsbauch – seine Frau erwarte auch ein Kind.
Am 5. August 1943 wird die 34-jährige Hilde Coppi in Berlin-Plötzensee hingerichtet, gemeinsam mit zwölf weiteren Frauen aus dem Widerstand gegen Hitler und sein menschenverachtendes System. Vorher noch in der Haft im Frauengefängnis Barnimstraße hat sie ihren Sohn Hans geboren, den sie bis zu ihrem Tod unter dem Beil stillen darf.
Beiläufig erfolgt ihre Verhaftung, während Hilde in ihrer Tegeler Laube Erdbeeren pflückt. Die Gestapo hat nicht die abgefeimt aasige Dämonie, die wir bis zum Überdruss gesehen haben, sondern riecht nach Leberwurstbrot. Auch Henker können Allerweltsmenschen sein. Womit ihnen nichts geschenkt ist. Im Gegenteil.
Der deutsche Widerstand kannte Offiziere und Adelige, Bürgerliche, Christen, Sozialisten und Kommunisten wie die Mitglieder der »Roten Kapelle«, zu denen Hilde (Liv Lisa Fries) gehört, nachdem sie Hans Coppi (Johannes Hegemann) traf, der zu der Gruppe um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen gehört.
Andreas Dresen erzählt nicht chronologisch, sondern aus umgekehrter Perspektive, vom Verhör, der Leibesvisitation, der farblosen Zellen-Enge und der Geburt her. So steht dann die Begegnung des jungen Paars Hilde Rake und Hans als Kontrast am Ende: ein Tanzvergnügen am Wannsee, das Helmut Käutner auch so hätte inszenieren können mit Ilse Werner und Hans Söhnker. Aber diesem Anfang wohnt das Ende inne: die grausame Hinrichtung. Dresen hat nicht die Ambition einer historischen Analyse. Er versteht sich aufs Innige und bleibt im Wärmekreis seiner Figuren und ihrer tollen Darsteller*innen. Und bei der zu Grunde liegenden Frage: Was bringt die einen dazu, sich nicht korrumpieren zu lassen, während andere sich und ihr Gewissen preisgeben. Auch heute!
Schwer muss es gewesen sein, sich nicht vom Sog der Majorität mitziehen zu lassen, nicht zu Kreuze zu kriechen, sich der Bewegung entgegenzustemmen und der Masse, wie sie in Riefenstahls Filmen wogt. Davon erzählt Dresen. Wie es ist, in der Normalität gewordenen Diktatur hellwach zu sein. Dass Hilde, die Sprechstundenhilfe und Versicherungsangestellte, Kommunistin wird und im Dienste Moskaus steht, ihre konspirative Tätigkeit ausübt und als Kurierin eingesetzt wird, diese politische Tätigkeit ist zurückgestellt gegenüber der privaten Person in ihrer emotionalen und subjektiven Moralität. Alltag mit Hans, Moped fahren, schwimmen gehen, Lagerfeuer, unbeschwert sein. Einfach leben. All das »Weißt Du noch?« des Gemeinsamen. Eine Fallada-Geschichte.
Pathos wäre in dem Film fehl am Platze. Stattdessen die schlichte Wahrheit, die Hilde im Prozess vor dem Reichskriegsgericht so formuliert, als der Richter sie fragt, weshalb sie ihren Mann nicht angezeigt habe: »Weil ich meinen Mann liebe«. Kurz vor ihrem Tod, nachdem Hitler das Gnadengesuch abgelehnt hatte, diktiert Hilde dem Gefängnispfarrer Harald Poelchau (Alexander Scheer), der vielen Gefangenen und deren Familien Beistand gab und dem selbst ein Film gebühren würde, ihren Abschiedsbrief, in dem Dresen seinen Titel fand: »In Liebe, Eure Hilde«. Herzensgruß – und Vermächtnis. ****
»In Liebe, Eure Hilde«, Regie: Andreas Dresen, D 2024, 120 Min., Start: 17. Oktober