Wenn Thriller und Screwball Comedy eine Liaison eingehen: Richard Linklaters clevere »A Killer Romance« läuft jetzt in den Kinos.
»Ich ist ein Anderer.« – »Ich bin nicht Stiller.« – »Ich möchte ein solcher werden, wie einmal ein andrer gewesen ist.« Diese Kernsätze der Literatur – von Arthur Rimbaud, Max Frisch, Peter Handke – lassen sich lesen als Modell von Ich-Konstruktion und möglicher oder unmöglicher Identität. Das kann in tragischem Scheitern enden oder sich glückhaft im Heiteren auflösen: also als Komödie, als Spiel mit Möglichkeiten – Felix Krull, der artistische Hochstapler, wäre ein Musterbeispiel dafür. Woody Allen lässt in seiner Tragikomödie »Verbrechen und andere Kleinigkeiten« die von Alan Alda gespielte alerte Regisseur-Figur das Genre der Komödie so definieren: Sie sei »Tragödie plus Zeit«.
Der US-amerikanische independent Filmemacher Richard Linklater ist jemand, der in seinen Geschichten solche Persönlichkeitsstudien vornimmt: etwa, indem er über zwölf Jahre hinweg die Biografie einer »Boyhood« verfolgt oder eine Paarbeziehung in der Trilogie »Before Sunrise«, »Before Sunset«, »Before Midnight« betrachtet, die uns bezaubert und berührt. Die Zuschauer nehmen dabei an einem filmischen Entwicklungsroman teil und können ihren eigenen dazu in Beziehung setzen.
Gary Johnson ist prädestiniert, sich mit Fragen wie den hier genannten zu beschäftigen, zunächst als Lehrer für Psychologie und Philosophie, wenn er im Seminar den Geheimnissen und Grenzen des Selbst und Störungen der Persönlichkeit nachspürt und Nietzsches Selbststeigerung propagiert. Und wenn er in seinem Nebenjob im Dienst der Polizei von New Orleans als falscher Auftragskiller unterwegs ist, als »Hit Man«, so der Originaltitel des in Deutschland etwas blödsinnig als »A Killer Romance« laufenden Films. Indem er mörderische Dienste anbietet, ködert er die Auftraggeber und verhindert tatsächliche Verbrechen.
Gary nimmt bei seinem Undercover Acting als Ron verschiedene Rollen an, mal tough, mal soft, maskiert unter Perücken, mit falschen Zähnen und Bärten und Tattoos, mit coolen Sonnenbrillen und in smarten Anzügen. Er lässt das Eckige rund werden und das Alltags- und Normal-Ich lässig aussehen, so dass sein Darsteller Glen Powell, der mit Linklater zusammen auch das Drehbuch verfasst hat, es mit Ryan Gosling aufnehmen kann.
Die Doppelexistenz – hier Gary, da Ron – gemäß dem Motto »Seize your identity«, wie er es seinen Studierenden nahelegt, gerät in Unordnung, als er Madison (Adria Arjona) trifft, die vorhat, ihren Mann um die Ecke zu bringen, der dann seinerseits das gleiche Ziel, nur anders herum, verfolgt. Statt sich von ihr engagieren zu lassen, rät Ron seiner Klientin von ihrem Vorhaben ab, was wiederum Gary nicht tun sollte und bei seiner Dienststelle nicht eben erfreut zur Kenntnis genommen wird.
Auf gewisse Weise geschieht eine Verwandlung wie die von Robert Louis Stevenson in seinem Horrorklassiker geschilderte des Dr. Jekyll in Mr. Hyde. Ein Unterschied wie Tag und Nacht: Der sich wie von selbst Charisma antrainierende Ron, der auch als Liebhaber gute Figur macht, okkupiert den blass braven Gary, dem sich beim Blick in den Spiegel die Frage nach Original und Fälschung stellt. Der Körper macht das Wesen. Authentizität changiert zum Spiel der vertauschten Köpfe und Charakterfacetten. Form-Bewusstsein gestaltet sich zum Lebensprogramm. Da ist der King of Comedy und Großmeister des Lustspiels, Ernst Lubitsch, nicht fern; und es kommen sich Thriller und Screwball Comedy in die Quere heutig aktueller Diskurse.
Was für eine herrliche Konfusion! Wie nur soll das vertrackte Täuschungsmanöver in diesem aufgehellten film noir enden? Nicht eindeutig, nicht einwandfrei. Charmant bis frivol, vielleicht zynisch und dennoch romantisch. ****
»A Killer Romance« (»Hit Man«), Regie: Richard Linklater, USA 2023, 115 Min., Start: 4. Juli