Ein Theatertod, jedenfalls ein dramatischer Tod. Als erstes nämlich sehen wir einen goldbefransten roten Bühnenvorhang; als der sich auftut, schwimmt vor unseren Augen, sich blau spiegelnd, ein Wasserbassin im Garten einer mondänen Art Déco-Villa (ein Swimmingpool ist in François Ozons Filmen bekanntlich ein Phantasie gefüllter Ort). Eine junge Frau in hellem Mantel verlässt eilends den Schauplatz.
Zuhause ist Madeleine Verdier (Nadia Tereszkiewicz) in einer malerisch bescheidenen Wohnung auf der Rue Jacob über den Dächern von Paris wie bei René Clair oder Marcel Carné oder in Puccinis »La Bohème«. Sie, Schauspielerin, und Pauline, Anwältin (Rebecca Marder), beide erfolglos und ohne Aufträge, wohnen hier, ohne die Miete zahlen zu können. Die Polizei steht bald vor der Tür: Monsieur Montferrand, der Madeleine angeblich eine Rolle anbieten wollte, aber eher an ein privates Engagement dachte, als der Produzent sie in seinem Haus in Neuilly empfing, wurde tot aufgefunden. Eine Kugel steckt in seinem Kopf, 300.000 Francs fehlen. Madeleine steht unter Verdacht, dann vor Gericht und triumphiert: Freispruch und als Folge eine glanzvolle Karriere vor der Kamera und auf der Bühne. Alles läuft wie am Schnürchen, bis die hexenhafte Ex-Stummfilm-Diva Odette Chaumette auftaucht und sich als wahre Mörderin darstellt: Isabelle Huppert rauscht fulminant als überdrehte und überschminkte Schreckschaube in wallend grünen, roten und schwarzen Roben einher.
Im Kino sehen wir einmal gemeinsam mit Madeleine den Kriminalfilm »Mauvaise Graine« (Böse Saat) mit Danielle Darrieux, von Billy Wilder (seine erste Regie) und Alexander Esway 1934 inszeniert. Womit – unabhängig vom Schnitt der Kleider, Frisuren und Limousinen – geklärt wäre, in welchem Jahr Ozons Geschichte spielt. Es ist längst nicht mehr die Belle Epoque, aber bei Ozon sieht es noch gemütlich antiquiert aus: Auf diese spielerisch reflektiert nostalgische Weise, ähnlich wie in seinem gesungenen Melodram über die »Acht Frauen«, setzt er den an sich banalen Fall und dessen umständliche Aufklärung in Szene, baut Schwarzweiß-Rückblenden für Variationen der tödlichen Tat ein, zitiert, parodiert, ironisiert und amüsiert sich. Aber nicht nur. Denn so leicht die Komödie (im Original »Mon crime«) sich gibt, schwerwiegend ist der Aufruf zu weiblicher Autonomie. Ozon, immer ein ziviler Offizier an der Frauenfront, verpasst der männlich dominierten (Unrecht-)Gesellschaft den Gnadenstoß: dem betulichen Untersuchungsrichter Rabusset (Fabrice Luchini), dem demagogisch theatralen Staatsanwalt, Madeleines schlappem Geliebten André, einem hübschen Reichensöhnchen, und der bloß mit Männern besetzten Geschworenenbank. Ein starkes Votum: Damenwahl in allen Lebenslagen. ****
»Mein fabelhaftes Verbrechen«, Regie: François Ozon, Frankreich 2023, 100 Min., Start: 6. Juli