Angeregt von Oskar Kokoschkas Gemälde »Tristan und Isolde« schrieb der Poet Georg Trakl sein Gedicht »Die Nacht«. Darin heißt es: »Über schwärzliche Klippen / Stürzt todestrunken / Die erglühende Windsbraut, / Die blaue Woge / Des Gletschers / Und es dröhnt / Gewaltig die Glocke im Tal: / Flammen, Flüche / Und die dunklen / Spiele der Wollust, / Stürmt den Himmel / Ein versteinertes Haupt…«.
Mit der Windsbraut ist sie gemeint, Alma Mahler-Werfel (1879-1964), Muse und Monstrum, Salon-Dame, Wiener Fin de Siècle-Berühmtheit und Objekt des Begehrens einer Reihe von Künstlern. Geliebt und gehasst. Kaum jemand hat Böseres über die geborene Alma Schindler geschrieben als Elias Canetti: Sie sei die »strotzende Witwe« als Sammlerin von »Trophäen«. Gemeint sind ihre Männer und Töchter, die sie behandelt und vorgeführt habe wie Preispokale.
In Dieter Berners Film begegnen wir ihr, als sie ihren Ehemann, den Komponisten Gustav Mahler zu Grabe trägt, mit dem die beinahe zwei Jahrzehnte Jüngere eben noch in New York unterwegs war, als er dort sein letztes Konzert dirigierte und wenige Monate später in seiner Heimat an einer Herzkrankheit mit nur 50 Jahren stirbt.
Die lustige Witwe war schon zuvor kein Kind von Traurigkeit gewesen und bevorzugte auf der Bühne des Lebens Hauptrollen. Der Architekt und Bauhaus-Meister Walter Gropius wurde ihr zweiter Ehemann, später wird sie den Dichter Franz Werfel heiraten und mit ihm ins Exil vor den Nazis fliehen und in die USA emigrieren.
Ja, und dann gibt es noch den Geliebten Oskar Kokoschka, auf den sich der Film allein schon mit seinem Titel konzentriert. Im Wien der Moderne putschte in allen Künsten der Radikalismus gegen bürgerliche Konvention, ganz gleich ob in Musiknoten, Farben, Formen oder Worten und Versen.
Damals, um 1911, war der 25-jährige Oskar noch Rebell und als wilder Maler verspottet, bevor der Expressionist (1886-1980) viel später zu einer nicht nur österreichischen Instanz wurde: Er malte auch etwa das offizielle Porträt von Bundeskanzler Konrad Adenauer, gestellt in lichtes Gelb.
So wie ihn Valentin Postlmayr mit Furor und unbedingtem Willen spielt, geht von ihm mehr Oskar-Werner-hafte Faszination aus als von Alma, die Emily Cox doch eher mit Koketterie, Posen und Allüren ausstattet, ohne dass sich erklären würde, wer sie ist und welcher Art ihre bannende Ausstrahlung und ob wir in ihr eher den Schutzengel oder die Hyäne der Avantgarde erkennen sollen.
Dass der Film das Melodram nicht ohne dessen emotionale Requisiten bedient, mag allzu nahe gelegen haben. Lust und Eifersucht, männliche Hybris und weibliche ungerührte Rabiatheit sind die Triebkräfte, die diese Affäre begleiten, befeuern und endlich unmöglich machen. Wir sehen, wie Oskar sich die Hand aufreißt, als er Mahlers Totenmaske abnimmt, so dass sein Blut fließt. Diese offene Wunde schwärt weiter in der Beziehung zu Alma, bis der im Ersten Weltkrieg schwer Verwundete heimkehrt.
Einmal fragt Alma ihn, nachdem sie Oskar die phantastische Geschichte vom künstlichen Geschöpf Olympia erzählt hat, wie E.T.A Hoffmann sie geschrieben und Jacques Offenbach zur Oper vertont hat, ob sie für ihn, den Kokoschka, diese Puppe sein solle. Wer den romantischen Stoff kennt, weiß, dass unter der Oberfläche des Automatenwesens kein lebendiges Herz schlagen kann.
»Alma & Oskar«, Regie: Dieter Berner, Österreich 2022, 85 Min., Start: 6. Juli