Dreimal bloß haben sie miteinander per Skype gesprochen. Das soll reichen für ein gemeinsames Leben. Ankunft am Flughafen Ben Gurion. Valeria (Dasha Tvoronovich) wird abgeholt von ihrer älteren Schwester Christina (Lena Fraifeld) und deren Mann Michael (Avraham Shalom Levi). Ihr für sie ausgesuchter künftiger Ehemann Eitan (Yakov Zaada Daniel) lässt ihr Blumen überreichen: einen Strauß rosa Lisianthus. Es ist eine, ihrem Namen nach, bittere Blume.
Alle sind nervös und angespannt. Für Wiedersehensfreude bleibt wenig Zeit. Valeria wirkt unsicher und eingeschüchtert: wie hinter Glas. Daheim herrscht ein streng hierarchisches Regiment. Geraucht werden darf nicht; die Suppe, offenbar Borschtsch, gelingt und schmeckt nicht so, wie die, die Michael von seiner Mutter gewohnt ist; für einen Spaziergang der Schwestern braucht es seine Erlaubnis. Die Nicht-Jüdin Christina ist gewissermaßen Ehefrau und Israeli auf Probe. Es würde noch ein Jahr dauern, erzählt sie, bis sie die weiß-blaue Staatsbürgerschaft unter dem Davidstern erhalten könne.
Das Paar lebt in einer modernen Wohnung in der eher schäbig aussehenden Stadt Bat Jam im Großraum von Tel Aviv. Hier auch unterhält Christina einen Kosmetik- und Maniküre-Salon. Ihre Kollegin Katya – wie die Schwestern aus der Ukraine eingewandert – sagt im Scherz zu Valeria: »Wenn alles gut läuft, hast du ausgesorgt. Wenn nicht, wirfst Du Dich vor den Zug wie Anna Karenina«.
Es läuft nicht gut. Und es vergeht nicht mal ein Tag, und Valeria hat ihre Chance vertan – falls es denn eine war und nicht eine Notlösung. Liebe ist in der Beziehung Christina – Michael keine Kategorie, sondern gegründet auf der Hoffnung der abhängigen Frau, ein ‚gutes Leben‘ zu haben, gesichert und angstfrei. Aber ist es das?
Bereits das Wetter lässt etwas befürchten: Gewitterluft und Platzregen. Nicht das sonnige mediterrane Land, das wir zu kennen meinen; nicht die liberal weltoffene, hedonistisch junge oder bürgerlich anständige Gesellschaft, wie wir es zuletzt etwa in dem Spielfilm »Concerned Citizen« von Idan Haguel gesehen haben; nicht die Zehntausenden, die für ihr Recht auf den demokratisch verfassten Staat in den Straßen demonstrieren.
Diese Welt hier funktioniert nach anderen Regeln. Der Mann gibt sie vor und bestimmt den Preis. 5000 Dollar hat Michael kassiert, um Valeria an den Mann zu bringen: ein Geschäft, das er offenbar professionell betreibt. Sind diese Arrangements noch Heiratsvermittlung oder schon Mädchenhandel? Die Antwort liegt in einer Grauzone dazwischen.
»Wenn Du Angst vor Wölfen hast, geh nicht in den Wald« ist das erste, was wir von Eitan hören, noch bevor wie ihn sehen, als er zu seiner Antrittsvisite kommt und Valeria gleich mit zu sich nehmen will. Er schenkt ihr als Brautgabe ein teures iPhone. Bestenfalls rührend unbeholfen, aber auch aufgebracht wie ein kleiner Junge, als er das Spielzeug, das er will, nicht kriegt, macht er nicht den Eindruck eines erwachsenen Menschen. Eine Brautschau als Pfeifen im Walde.
Valeria jedenfalls signalisiert ‚Nein’, verbarrikadiert sich im Badezimmer (nun tatsächlich hinter einer Milchglasscheibe ein- und ausgeschlossen) und wirft den Schlüssel aus dem Fenster. Michaels Reaktion lässt nicht auf sich warten: ein Flugticket zurück, dorthin, von wo Valeria kam. Kostenpunkt. 300 Euro. Außer Spesen usw.
Die 1976 in Haifa geborene Michal Vinik lässt in ihrem Film viel Raum für unsere eigenen Gedanken, Überlegungen und das Fortspinnen dieser Geschichte, von der wir ahnen und fürchten, dass sie nicht der Fiktion entspringt. Valeria hat eigentlich keine Wahl, aber sie wählt dennoch. Und auch Christina macht sich auf den Weg. Dazu gehört Mut, bei beiden. So viele Fragen, so viel Schicksal, so wenig Glück. Bitter wie Lisianthus.
»Valeria is getting married«, Regie: Michal Vinik, 80 Min., Israel / Ukraine 2022
Start: 25. Mai