Hirayama (Kōji Yakusho) passt in die Porträtgalerie männlicher Helden aus den Filmen von Wim Wenders. Er hat Ähnlichkeit, trotz einer ganz konträren sozialen Position, mit dem Modedesign-Philosophen Yoshi Yamamoto, den Wenders 1989 in »Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten« begleitet hat. Er erinnert an die deutschen Darsteller Rüdiger Vogler und Bruno Ganz, letzterer etwa als Engel Damiel in »Der Himmel über Berlin«. Oder an die Amerikaner Harry Dean Stanton als Travis in »Paris, Texas« und ein bisschen auch an Sam Shepard in »Don’t Come Knocking«. Männer, die den Blues und die Ruhe weghaben, die schräg angeschnitten im Leben stehen und es staunend und leicht befremdet annehmen.
Was für ein Blau, das innen wie außen die Nacht beendet, den Tag ankündigt und Hirayama weckt: eine Farbe wie Lavendel, Mauve, Lila und viele Tönungen und Abstufungen mehr. Eine Hülle der Geborgenheit. Der Mann steht auf, geht in seinem sparsam eingerichteten, winzigen Haus morgendlichen Verrichtungen nach, stutzt sich noch das Oberlippenbärtchen, zieht am Getränkeautomaten eine Dose, steigt ins Auto, legt eine Kassette ein mit »House of the rising sun«, und los geht’s. Hirayama ist Toilettenreiniger und dabei ein Gottessohn der kleinen Dinge.
The Tokyo Toilet steht auf seinem blauen Overall. Aber man muss sich diese öffentlichen Bedürfnisanstalten nicht vorstellen wie unsere oft schäbigen Pissoirs, es sind vielmehr architektonisch avancierte Miniaturen, proper, in klinischem Weiß, aus hölzernen Streben wie für ein elegantes Baumhaus, geformt wie pilzige Kioske oder gläserne Pavillons. Sie würden jede Privatwohnung oder auch ein Fünf-Sterne-Hotel schmücken. Akribisch und penibel geht Hirayama seiner Arbeit nach, die hier so gar nichts Schmutziges und Herabwürdigendes hat.
Es gibt Begegnungen mit Passanten, die fix in einer Kabine verschwinden, mit müßig zeitverlorenen Kindern und seinem jüngeren Kollegen Takashi, der wegen einer umschwärmten Blondine ziemlich durch den Wind ist. Gesprochen wird wenig. Hirayama hat zu tun, macht Brotzeit, fotografiert für sich und sein akkurat geführtes Bildarchiv, beobachtet Leute, schaut ins Baum-Grün, gräbt ein Pflänzchen aus, um es bei sich einzusetzen, und schmunzelt seelenruhig wie ein asiatischer Stoiker über menschliche Impulse und Schwächen. Hirayamas Bescheidenheit ist das Anspruchsvollste, das sich denken lässt.
Auch nach Dienstschluss hat er seine Alltäglichkeiten und Rituale, eine Waschung im städtischen Bad, ein Imbiss, ein paar Seiten William Faulkner beim Zubettgehen – danach werden von Regisseur Wenders einige grau verwischte, sich überblendende Bilder hinzugefügt wie Traumerscheinungen, Traumgesichter.
Das Leben als Geduldsspiel. Nach diesem ersten Tag sind wir bereits mit den Abläufen bekannt und haben sie selbst verinnerlicht. Nur die Musik ändert sich: Hirayama spielt am Folgetag Otis Redding mit »The Dock of the Bay«. Dann kommt unerwartet Niko zu Besuch, Tochter seiner Schwester, die er lange nicht gesehen hat, weil ihrer »beide Welten anders« seien. Sie ist von daheim weggelaufen und begleitet ihn. »Jetzt ist Jetzt« ist das, was er ihr auf den Weg mitgibt, als ihre Mutter sie in ihrer teuren Limousine abholt. Dabei deutet sich an, dass es eine ungelöste Geschichte zwischen Hirayama und seinem Vater gibt. Und auch der Tod hinterlässt, bei einer weiteren Begegnung, eine Spur.
Einmal hören wir Lou Reed mit: »Just a perfect day / You make me forget myself, I thought I was someone else, someone good«. Peter Brook hätte seine Freude an dem Film gehabt, an der schlichten Eigengesetzlichkeit und geistvollen Selbstvergessenheit Hagayamas, der so ganz bei sich ist, und dem Hauptdarsteller Kōji Yakusho. Wir müssen uns Hagayama als einen glücklichen Menschen vorstellen. *****
»Perfect Days«, Regie: Wim Wenders, Japan 2023, 120 Min., Start 21. Dezember