Die Frau hat zu tun, der Mann weniger. Clara promoviert in Philosophie (über Hegel) und unterrichtet an der Uni in Berlin. Sie hat eine Tochter, die im Haus am See beim Vater (Roland Zehrfeld) lebende 15-jährige Emma, und eine Affäre mit dem Studenten und Professorensohn Max (Marcel Kohler) – oder ist es mehr als das? Treffen ‚dafür’ tun sie sich immer nur im Hotel. Sie hält ihn auf Abstand.
Anhand eines Gemäldes von Roy Lichtenstein diskutiert sie im Utilitarismus-Seminar das Verhältnis der Geschlechter. Es gibt die Mitbewohner in der WG und die fordernde, in ihrem einsamen Leben enttäuschte Doktor-Mutter Margot (Judith Hofmann), der eine als Gastdozentin engagierte, ehemalige Studentin (Sandra Hüller) nach 20 Jahren ins Gesicht sagt: »Sie sind ein böser Mensch«.
Und es gibt Mutter Inge in der brandenburgischen Provinz (»wo nix ist«), zu deren 60. Geburtstag Tochter und Enkelin die alte Heimat besuchen. Die erste Begegnung mit Emma enthält gleich die Mutter-Tochter-Konfrontation. Sie möge nicht, wenn Clara so tun würde, als hätten sie sich erst gestern gesehen. Mutter Clara wird eine weitere Konfliktlinie als Tochter Clara mit ihrer Mutter erleben.
Hier in Berlin akademischer Tratsch und politische Diskussionen am Tisch des gehobenen Bürgertums, während Klaviermusik von Schumann erklingt. Dort die Gegenwelt der ostdeutschen Kindheitswelt, wo Wodka die Zunge löst und auch schon mal die Hand gegenüber einem Kind ausrutschen lässt. Dazwischen Clara mit ihrer Aufsteiger-Biografie: als Frau, Ostdeutsche, Kind kleinbürgerlicher Familie. Ihre Herkunft schönt sie vor Freunden und Kollegen. Was würden die zum Schwof im Disco-Licht mit Schlagermusik (»An Tagen wie diesen«) und kalten Platten draußen in der Parkschenke sagen.
Mühsale des Einander-Verstehens
Im Gesicht von Anne Schäfer als Clara spiegelt sich ohne jedes Wort das Elend ihrer zweigeteilt gespaltenen Biografie und Person. Manchmal aber sagt sie doch etwas: Es werde »nur gelabert, nie kommuniziert«, beklagt sich Clara bei ihrer Mama über die Sprachlosigkeit. Thema sei immer nur, ob die Fahrt gut gewesen und wie das Wetter sei und ob das Essen geschmeckt habe. Die Doktorarbeit ihrer Tochter will Inge nicht lesen: Das sei »verkorkst und gestelzt«. Mühsale des Einander-Verstehens bei gutem und weniger gutem Willen. Wie auch das Gespräch – und ein zärtlicher Tanz – mit dem Jugendfreund (Max Riemelt) in der Kneipe bis zum frühen Morgen. Auf dem Nachhauseweg drehen sich hinter Claras Rücken Windräder.
»Alle reden vom Wetter« ist ein Film, der seine Ambition mehr unterspielt als ausstellt. Annika Pinskes Anspruch ist, Krisenmomente, Aussprachen und Istzustände zu inszenieren, ohne dass dabei ein rotes Signallicht aufblinkt. Dafür hat sie ein großartiges All-Star-Ensemble beisammen, in dem niemand Aufheben von seinem Status macht, darunter die DDR-Monumente Christine Schorn und Hermann Beyer. Zum Abschied wird Clara und Emma jeweils ein Geldschein zugesteckt, jeweils von ihren Großmüttern. Das ist in Ost wie West wohl gleich. Lösungen gibt es nicht, nicht mal Auflösungen und keine Ablösungen. Außer, am Ende, dem Lösemittel der Träne in den Augen von Clara. ***
»Alle reden übers Wetter«, Regie: Annika Pinske, D 2022, 89 Min., Start: 15. September