Film des Monats: »Mond« von Kurdwin Ayub mit der Choreografin Florentina Holzinger, die als Martial Arts-Trainerin Sarah nach Jordanien reist.
Zwei Namen repräsentieren »Mond«: Produziert wurde der Film der österreichisch-kurdischen Regisseurin Kurdwin Ayub von Ulrich Seidl, der Österreichs Seelenlandschaft verätzt, Religion, Sexualität und Bigotterie kreuzigt und zwar auf eine Weise, dass man sich schwer tut zu unterscheiden, ob einem das Erzählte oder der Erzähler unangenehmer sind. Die Hauptdarstellerin Florentina Holzinger wiederum ist berühmt und berüchtigt als Theatermacherin, deren choreografische Inszenierungen für Aufruhr sorgen und Rettungswagen herbeirufen, um Zuschauer*innen einzusammeln, denen schlecht geworden ist. Zum diesjährigen Berliner Theatertreffen ist sie eingeladen mit ihrer Skandalarbeit von Paul Hindemiths Kurzoper »Sancta«, die ihr zur Tanz-Messe über weibliche Unterdrückung und kirchliche Dominanz gerät. Das Thema Leibeigenschaft, für das sie sich Einlass verschafft in Dunkelbezirke des Diesseits, betrifft auch »Mond«, den Nachfolgefilm von Ayubs preisgekröntem Debüt »Sonne« (2022). Die Frage, wie Teenager ihren Platz finden, beschäftigt beide Geschichten.
In »Mond« herrscht Untergangsstimmung. Sie brauche einen Business-Plan für ihr Leben, wird Sarah (Holzinger) von ihrer Schwester vorgehalten, die Mutter geworden ist und ein braves Eheleben führt. 20 Jahre Martial Arts und Wettbewerbe bis an die Schmerzgrenze liegen hinter ihr. Vor ihrer Zukunft steht ein Fragezeichen. Überraschend erhält Sarah ein Engagement, um drei Schwestern als Personal Trainerin fit zu machen – in Jordanien. Deren Bruder Abdul Al Faradi hat Sarah im 28. Stockwerk eines Fünf-Sterne-Hotels untergebracht, vor dessen Fenstern sich das Panorama von Amman ausbreitet. Sie wird mit einer Limousine abgeholt und staunt über das Familienanwesen. Die erste Trainingsstunde mit Schaima, Fatima und Nour hat kaum begonnen, da brechen die Mädchen sie ab.
Harem für höhere Töchter
Die Eltern, erzählen sie, seien in Qatar, überhaupt besäßen sie Häuser in jedem Land. Drei Prinzessinnen, isoliert im Luxus. Sie haben Hauslehrer, chillen oder beschäftigen sich mit Make-up. WLAN wird ihnen vorenthalten. Es scheint eine Art Harem für höhere Töchter. Sarah ist irritiert über die Vorgänge in dem Haus, das Verhalten der Drei und die Beaufsichtigung durch den Bodyguard. Rigide Verhaltensnormen regulieren den Tagesablauf und die Möglichkeit des Zusammenseins mit Außenstehenden.
Der Thriller, gehärtet an der Realität einer paternalistisch geprägten islamischen Kultur, schleicht uns gewissermaßen leise an, ist direkt, rüde und schmutzig, während sich die Kamera ohne Abstand an die Figuren heftet.Sarah sieht Spuren von Gewalt im Gesicht von Fatima, die behauptet, es seien Folgen einer Botox-Injektion. Und sie macht die Entdeckung, dass es noch eine vierte Schwester gibt, Aya, die älteste, die unter Verschluss gehalten, in ihrem Zimmer ans Bett gefesselt und mit Schlägen bestraft wird und die sich in einem Akt der Selbstverstümmelung in der Küche verbrennt und stirbt. Bruder Abdul will Aya als Fall von Schizophrenie darstellen.
Das Kampfsporttraining als Empowerment im physischen Sinn, der aufs Mentale einwirkt, scheint zu fruchten. Die Schwestern planen den Ausbruch. Sarah unterstützt die Flucht, die jedoch misslingt. Sarah kommt davon. Rettung wird nicht gewährt. Nicht dem Zuschauer als wohliges Gefühl, etwas habe sich zum Besseren gewendet, und besonders der Westeuropäerin Sarah nicht, wie zwei Szenen am Ende zeigen. Was ist los mit der jungen Frau: Abstumpfung, Resignation, Verzweiflung, Schuld, Selbstrechtfertigung? »Fühlt sich gut an, böse zu sein«, singt sie in einem Club und feiert den Kitzel von SM-Ritualen, als sei die Grenze zwischen Einverständnis und Fremdgewalt eine Grauzone. East meets West – und niemand hier hat etwas davon. ****
»Mond«, Regie: Kurdwin Ayub, Österreich 2024, 90 Min., Start: 27. März 2025
Florentina Holzinger ist am 28. bis 30. März in Köln zu Gast:
Dann ist ihr »Ophelia’s got talent« im Kölner Depot 1 zu sehen.