Inmitten seiner Reliquien steht ein Foto von Erich von Stroheim (»einer meiner Helden«) und eine Eiserne Jungfrau, das mittelalterliche Folterinstrument als Spielzeug: voilà, Helmut Newton. Für ihn sei ein Mysterium, dass eine fotografische Linse, die in einem Tausendstel Sekunde etwas fixiert, mehr kann und mehr sehen kann, als ein Auge je sehen könnte. »Seele verstehe ich nicht, Körper und Gesichter – ja,« so Newton, der, wie Ehefrau June sagt, immer der naughty boy, der Schlingel geblieben sei und zudem Anarchist und Voyeur. Newton – als jüdischer Fabrikantensohn 1920 in Berlin geboren, Schüler der legendären, von den Nazis im KZ ermordeten Yva, 1938 aus Deutschland geflüchtet und in Shanghai gestrandet, nach Australien ausgewandert und 2004 in Hollywood gestorben – fotografierte Menschen mit Macht, politischer, künstlerischer, physischer, sexueller Macht. Gero von Boehms Dokumentation des Epoche machenden Fotografen betrachtet den Künstler ebenso wie den Menschen, deren Wechselbeziehung und auch deren Nachtschatten.
Sigourney Weaver im Taucheranzug
Über Newton erzählen klug unter anderem die Schauspielerinnen Isabella Rossellini, die ihn als Repräsentanten einer bestimmten männlichen (auch deutschen) Kultur interpretiert, Charlotte Rampling, die über das komplizierte Verhältnis von Nähe und Distanz nachdenkt, Marianne Faithfull, die ihn mit George Grosz in Verbindung bringt. Seine Fotostrecken, erläutert Anna Wintour, seien »Stopper« in der Vogue gewesen: Seiten zum Innehalten, nicht zum Weiterblättern. Grace Jones, nackt ausgestreckt mit einem Messer in der Hand, der sterbenskranke Dalì an Schläuchen, Sigourney Weaver im Taucheranzug vor Beton, Liz Taylor mit Smaragden und grünem Papagei im Pool-Wasser: Instinktsicher legen die Porträts Wesenszüge offen. Das jeweilige Modell ist Projektionsfläche, Objekt für einen sozialen Kommentar (Brathühnchen auf High Heels) oder ‚Patient’ einer Psychoanalyse, wenn der Foto-Regisseur etwa Jean-Marie Le Pen mit Hund (wie Hitler mit seinem Schäferhund) aus Untersicht ablichtet. Der Erotiker Newton hat die Perversion der Lust ikonografisch inszeniert: Frau und Maschine, Frau und Puppe, Frau und Tier, Frau und Fetisch-Gegenstände. Das Bild der Frau als Angst-Lust-Fantasie – groß, stark, skulptural, dominant und provokant –, es stürzt zusammen, wenn man Helmut Newton mit seiner June zusammen sieht.
»The Bad and the Beautiful«, Regie: Gero von Boehm, D 2020, 90 Min.; Start: 9. Juli 2020