Film des Monats: Pablo Larraíns Film über die einzige »Maria« Callas mit Angelina Jolie als Diva assoluta.
Es gibt einen Weißen Elefanten in zweien der drei Filme über jeweils eine der berühmtesten Frauen des 20. Jahrhunderts, die der chilenische Regisseur Pablo Larraín gedreht hat: sowohl in seinem Biopic über »Jackie« Kennedy-Onassis als auch in seinem neuen Film über »Maria« Callas, verkörpert von Angelina Jolie. Der Dickhäuter heißt Aristoteles Onassis. Der griechische Nabob-Reeder war Mann, Freund, Gefährte, Liebhaber, Beschützer und Ausbeuter der Frauen, die er sich als Trophäen gewonnen hatte. Was die beiden und die dritte, Lady Di, die Prinzessin von Wales, in Larraíns »Spencer« miteinander verbindet, ist ihr Streben nach Autonomie und Erlösung aus Bevormundung, Dominanz, gesellschaftlicher Erwartung und Zwängen, ist das Ertragen von Einsamkeit und Unterordnung – und das Revoltieren dagegen. Callas freilich ist die einzige in dem Trio, die es auf den eisigen Olymp der absoluten Kunst geführt hat, einer Todeszone.
Als ihr Arzt der Callas den Rat gibt, mit dem Gesang um ihrer Gesundheit und ihres Lebens willen aufzuhören, hat sie zur Antwort: »My life is Opera – there is no reason in Opera«.
Liebesakt mit der Musik
Eine vollkommene Aufführung des »Tristan« würde die Leute verrückt machen, hat Richard Wagner behauptet. Ein Auftritt der Callas kam dieser Wirkung zumindest nahe. »Maria« Callas, das ist Intensität und Unbedingtheit einer Heldin von Bellini, Puccini, Verdi, die sich ihre Wahrheit schafft und plane Wirklichkeit überwindet. Höher als alle Vernunft. Eine Koloratur, eine Arie ist der letztmögliche Widerspruch zur gesprochenen Phrase.
September 1977, das herbstlich schöne Paris. Callas ist 53 und nahezu unsichtbar in ihrer Wohnung auf der Avenue Georges-Mandel – ein Schicksal, das sie mit der alten Marlene Dietrich in derselben Stadt teilt. Sie betrachtet ihr Leben und die glanzvollste Karriere einer Sängerin in ihrer Zeit.
Callas lebte ganz dem Gesang, der Konzentration, Präzision und Kontrolle, dem emotionalen Supernaturalismus, dem Rausch der Bühne und des Konzertpodiums, dem Liebesakt mit der Musik und mit dem Publikum. Um dem Extrem und seinem Entzug standzuhalten, brauchte sie Ersatzmittel – ein Medikament wie Mandrax. Ihr Butler, ein von ihr tyrannisierter Vertrauter, notiert für sich die doppelte Anzahl der Pillen, die sie ihm angibt, weil er weiß, dass seine Herrin ihn und sich selbst belügt.
Mandrax hat bei Larraín Eigenleben, materialisiert sich zum Fantasieprodukt. Gegenüber der halluzinierten Hermes-Gestalt eines Reporters (Kodi Smit-McPhee) namens Mandrax resümiert Callas bei einer Promenade Stationen und Episoden. Dabei ist der imaginäre Dialogpartner Spiegel für ihre Selbstreflexion und Beichte ohne Reue.
In einem Kreisschluss zieht Larraín dramaturgisch Anfang und Ende zusammen – mit dem Unterschied, dass der Zuschauer dieselbe Szene beim zweiten Mal mit wissenden Augen betrachtet, bereichert um die Kenntnis dessen, was dazwischen liegt. Der Film als Requiem: mit »La Traviata«-Finale. Vor der mit einem Leichentuch bedeckten Toten steht die Polizei ratlos so wie die Welt fassungslos und tatsächlich für einen Moment lang still.
Träumerischer als der Traum
Was uns in einem Musical ganz normal erscheint, dass die Welt zu tanzen beginnt und choreografisch übersetzt, was Menschen bewegt, was in einer Oper ebenso normal erscheint, dass Menschen singen, wenn sie leiden, lieben, sterben, hassen, erlaubt sich auch Larraín, als habe er es von Gene Kelly, Fellini oder Jacques Demy gelernt. Callas und die Butterfly Cio-Cio-San etwa verschmelzen, wenn rotgewandete Geishas sie umkreisen. Die Bedeutung solcher Bilder ist träumerischer als der Traum.
Der Traum bricht sich hier aber nicht am Konkreten und Realen, sondern geht eine Synthese ein mit ihnen. Die detailfanatische Rekonstruktion des Äußeren (Kleidung, Frisur, Schmuck, Bewegung, Posen, ikonischen Fotografien der Callas), das ebenso Verhüllung wie Enthüllung ist und wie ein Astralleib die Person umgibt, scheint das Wesen Callas erst ermöglicht zu haben. Sie wurde sich selbst zur Chiffre, wurde ihr eigener Pygmalion, die sich Schönheit, Grazie, Noblesse, Strahlkraft antrainiert und diese triumphal verkörpert. Le style c’est la femme. Nicht umsonst klingt in ihrem Namen derjenige der Blume an, deren Kelch von reinem Weiß ist und deren blühende Erotik ein Fotograf wie Robert Mapplethorpe erfasst hat. Angelina Jolie passt sich in die Maria-Rolle phänomenal ein, auch weil sie die formale Existenz der Callas betont und ein Bewusstsein schärft für deren künstlich Kunstvolles.
Wenn es ein Manko gibt, das freilich nicht unerheblich ist, so die Leerstelle, die zu füllen gewesen wäre für den Vorgang, der die magische oder auch nur technisch professionelle Verbindung der Künstlerpersönlichkeit mit dem Ausdrucksmittel Musik stiftet. Dieses Defizit teilt »Maria« mit dem Film über den »Maestro« Leonard Bernstein. Im Abspann des Films, wenn die originale Callas in dokumentarischen Bildern auftritt, trauen wir unseren Augen kaum, die sich an die Performance von Angelina Jolie gewöhnt haben. Eine doppelte Erscheinung – Reinkarnation eines Jahrhundert-Menschen. *****
»Maria«, Regie: Pablo Larraín, USA / D 2024, 124 Min., Start: 6. Februar