Schon mehrfach war Gregor Schneider mit Ausstellungen in den Kunstmuseen Krefeld vertreten. Sein aktuelles Projekt »Haus Alhmam Aldaas« verwandelt das Museum Haus Esters in die Wohnstätte einer Familie aus Syrien.
Auf der Klingel und dem Briefkasten steht noch sein Name. Doch Alhmam Aldaas ist bereits ausgezogen. Von Besenreinheit kann vorerst allerdings keine Rede sein: Obwohl Möbel und Einrichtungsgegenstände, die zum Alltag der syrischen Familie gehörten, aus der geräumigen Wohnung herausgeschafft wurden, sind die Überbleibsel der Bewohner*innen unübersehbar: vor allem in Gestalt von Tapeten, Vorhängen, Gardinen, Lampen oder einem Koran-Vers als Wandschmuck. In der Küche muss der Kühlschrank noch abtransportiert werden. Dort stößt man außerdem auf Geschirr, Wasserflaschen, einen Teekocher und Plastikgießkannen.
Ein scheinbar gewöhnliches Umzugsszenario, das dennoch aus dem Rahmen fällt, weil es im Museum stattfindet. Und weil als Inspirator und Umzugshelfer einer der bekanntesten deutschen Gegenwartskünstler mitwirkt: Gregor Schneider, 2001 durch die Biennale-Installation »Totes Haus u r« ins Rampenlicht der Kunstszene gerückt, hat seine aktuelle Schau »Welcome« im Haus Esters, einem Außenposten der Kunstmuseen Krefeld, als Familien-Ausstellung angelegt. Und als Beitrag zum Phänomen Flucht und Migration.
Fremdkörper im Raum
Auf seine Einladung hatte die Familie Aldaas für ein paar Wochen ein geräumiges Interimsquartier im Erdgeschoss des Museums bezogen. Das Mobiliar für dieses Experiment erstand man gemeinsam – eine Vorstufe des Kunstprojekts. Gregor Schneider: »Es gibt Möbelgeschäfte für Menschen mit Migrationshintergrund, Geschäfte, die ich so auch noch nicht kannte. Und da bin ich mit der Familie hingefahren.«
Fotos der mit Möbeln bestückten, aber menschenleeren Interieurs, die Schneider separat im Krefelder Kaiser Wilhelm Museum zeigt, dokumentieren den einstigen Alltag im Museum: Im weitläufigen Wohnzimmer ist ein Wäscheständer ans Fenster gerückt, damit die Kleidung im Sonnenlicht schneller trocknet. Vor dem Fernseher hat eine ausladende Couchgarnitur Platz gefunden. Das Kinderzimmer gibt sich als solches durch rosafarbene Wände, ein Schaukelpferd und ein Spielzeugauto zu erkennen.
Dass die Möbel der Familie Aldaas wie Fremdkörper im Raum wirken, kann niemanden überraschen: Die minimalistische Ästhetik der Moderne und das durchschnittliche »Schöner Wohnen«-Ideal einer syrischen Familie lassen sich kaum auf einen Nenner bringen. Das gilt auch für die Tapeten, Vorhänge und Gardinen, die bis zum Ende der Schau als Relikt des Gastaufenthaltes präsentiert werden (das restliche Mobiliar hat Schneider in einer seiner Depothallen eingelagert).
In der Villa Esters, einem Geisterhaus auf Zeit, gibt es wenig zu sehen, aber vieles zu bedenken. Folgerichtig spricht Gregor Schneider von einem »Reflexionsraum«. Er wollte gerade durch die Leere einen Vorstellungsraum schaffen, in dem die Besucher*innen mit ihren Erwartungen, Vorurteilen und Klischees konfroniert würden, sagt Schneider. »Was mich umtreibt, ist eine Annäherung an die Realität.«

Der Wirklichkeit nähert sich der 1969 geborene Künstler an, indem er Räume schafft, die als skulpturale Gleichnisse für Existenzielles faszinieren – und manchmal auch erschüttern. Das gilt insbesondere für sein leerstehendes Elternhaus in Mönchengladbach-Rheydt, das er nach und nach in eine ebenso verschachtelte wie verstörende Raumskulptur verwandelt hat. Zuletzt sorgte er mit seinem Münchner Projekt »Ars Moriendi« für Aufsehen – hier stehen die Selbstzeugnisse von alten und schwerkranken Menschen im Mittelpunkt. Bei seiner »Welcome«-Schau im Haus Esters wendet er sich dagegen der Mitte des Lebens zu.
Dass Künstler*innen die ästhetische Komfortzone des Museums infrage stellen, indem sie aus dem Kunst- einen Lebensraum machen, ist nicht ungewöhnlich: Joseph Beuys, der mehrere Tage mit einem Kojoten in einer Galerie verbrachte, dürfte das bekannteste Beispiel sein. Bei Haus Esters und dem benachbarten Haus Lange handelt es sich indes um einen Sonderfall: Der nachmalige Bauhaus-Direktor Mies van der Rohe entwarf sie 1927/28 als Privathäuser für die befreundeten Seidenindustriellen Hermann Lange und Josef Esters. Als Museen genutzt werden die Villen erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts.
Sonderausstellung im Haus Lange
Um dieses Zwitterwesen und das künstlerische Potenzial, das dadurch in den vergangenen Jahren freigesetzt worden ist, geht es auch in der parallel im Nachbargebäude laufenden Sonderausstellung »Teilweise möbliert, exzellente Aussicht«. En passant erfährt man hier, dass die Kunstmuseen Krefeld im Werdegang von Schneider eine herausragende Rolle spielen: Schon 1994 war er mit einer Solo-Ausstellung zu Gast in Haus Lange: Damals implementierte er ein Wandstück aus seinem Elternhaus (als »Haus u r« zum ikonischen Kunstort geworden) in eine der Wände. 2000 quartierte er sein Alter Ego, Hannelore Reuen, im Gartenhaus von Haus Esters ein. 2005 erklärte er einen nachgebauten Raum von Haus Esters zu seinem persönlichen »Sterberaum«.
Die Tradition von künstlerisch motivierten Haus-Lange-Besetzern wie Yves Klein oder Elmgreen & Dragset fortsetzend, erinnert Schneider jetzt in gewisser Weise erneut an den ursprünglichen Status der Villen. Die Betonung liegt auf »in gewisser Weise«, denn das Luxusambiente an der noblen Wilhelmshofallee hat mit der Lebenswelt der meisten Menschen mit Migrationshintergrund, die nach Deutschland gekommen sind, so viel zu tun wie ein Rolls-Royce mit einem Dacia.
Irgendwie paradox ist auch, dass man von der Familie, die doch im Mittelpunkt dieser Inszenierung steht, nur eine schemenhafte Vorstellung gewinnt. Was wir zur Einordnung des Konzepts erfahren: Alhmam Aldaas, der 2015 vor dem Krieg in Syrien geflohen ist, konnte seine Frau nachholen. Ihre beiden Kinder sind in Deutschland geboren. Und Gregor Schneider ist ihr Vermieter: Seit 2016 lebt die Familie Aldaas in einer Wohnung, die der Künstler in Mönchengladbach besitzt.
Nach weiteren biographischen Details fragt man vergeblich. Begründet wird das mit dem Schutz der Privatsphäre. Wer jetzt durch die leeren Räume streift, dem gehen manche Fragen durch den Kopf: Hat die Familie ihr Zweitdomizil ohne Berührungsängste in Besitz genommen? Oder schüchtert das Wohnen im Museum nicht doch ein? Gab es Kontakt zu den Nachbarn? Oder zu jenen Gästen, die nebenan Ausstellungen im Haus Lange besucht haben? Wie bewerten es die Aldaas, dass sie als Hauptakteur*innen der Aktion von Gregor Schneider in die jüngere Kunstgeschichte eingegangen sind? Fühlen sie sich nicht auch instrumentalisiert?
Antworten darauf muss man für sich selbst finden. Gregor Schneider, dessen Kunst stets um das Rätselhafte und Abgründige kreist, geht es nicht um ein soziologisch auswertbares Experiment in Sachen Wohnen. Seine Willkommensgeste im Museum setzt auf die Verfremdung des Raumes. Und auf die Kraft der Fantasie.
»Gregor Schneider. Welcome«
Kunstmuseen Krefeld – Haus Esters
bis 21. September
Im Kaiser Wilhelm Museum zeigt Schneider Fotografien, die den
bewohnten Zustand von Haus Esters dokumentieren.