Rückblende: Berlin Music Week, Anfang September. Im Spreespeicher sitzt Jürgen Baier auf der Anklagebank. Er ist Inkassobeauftragter der GEMA. Am heutigen Abend soll er die neuen Gebühren verteidigen, die sich sein Arbeitgeber ausgedacht hat. »Digitales Forum« nennt sich die Diskussionsrunde. Es geht um Urheberrecht, so sieht es Jürgen Baier. Es geht um das Ende der Clubkultur in Deutschland, so sieht es Olaf Möller. Baiers Podiumsgegner ist Vorsitzender der »Club Commission«. Unter ihrem Dach haben sich die wichtigsten Nightlife-Institutionen in Berlin zusammengeschlossen. Möller vertritt diejenigen, die im nächsten Jahr mehr zahlen sollen. Maximal zehn Prozent vom Eintritt verlangt die GEMA ab April 2013, plus Zuschläge für »Laptopvervielfältigung« und Partys, die über fünf Stunden dauern.
Für den Plan haben Baier & Co. eine Menge Prügel eingesteckt – und das nicht nur von Discotheken-Besitzern. Eine kuriose Allianz aus Clubbern, konservativen Gaststättenverbänden und Politikern warnt vor der Discodämmerung. Auch Möller zeichnet ein apokalyptisches Bild. Mehrbelastungen von 1000 Prozent sieht er auf die Clubs zukommen, zehntausende Jobs seien bedroht. Woher diese Zahlen stammen, verrät er nicht. Baier, ein gemütlicher Mann im Anzug, kann die Aufregung nicht verstehen. »In kleinen Clubs laufen zehn Prozent des Eintritts am Abend auf drei Kästen Cola hinaus«.
Das mag stimmen. Wahr ist aber auch, dass sich die Cola-Kästen in größeren Läden am Ende des Jahres ganz schön türmen. 140.000 Euro müsse er nach dem neuen Tarif an die GEMA zahlen, erzählte der Betreiber des Berliner »Watergate« jüngst dem Spiegel. Das würde allerdings bedeuten, dass er im Jahr 1,4 Millionen Euro aus seinem Club herausträgt – Getränkeeinnahmen nicht eingerechnet. Das Geld an der »Tür« mache im Durchschnitt nur rund 17 Prozent des Gesamtumsatzes aus, zu dem Ergebnis kommt eine Studie über das wirtschaftliche Potenzial Berliner Clubs aus dem Jahr 2009. Sind die neuen GEMA-Tarife vor diesem Hintergrund nicht zumutbar? Nachfrage in NRW.
DIE LOVE-PARADE-KATASTROPHE HAT VIELES VERÄNDERT
»Das Getränke-Argument ist völlig hanebüchen«, sagt Stefan Bohne. Er sitzt auf einer gepolsterten Euro-Palette im Kölner Artheater. Es ist 15 Uhr, durchs Fenster in der Decke fällt kegelförmiges Licht. »Viele Clubs leben heutzutage von Fremdveranstaltern. Das heißt, die Einnahmen werden geteilt. Der Eintritt geht an diejenigen, die sich einmieten, das Geld aus der Gastronomie bekommt der Club.« Bohne holt Luft, das Thema wühlt ihn auf. »Abgesehen davon, ist die Eventgastronomie im Allgemeinen sehr personal- und technikintensiv. Was uns außerdem ärgert, ist die Tatsache, dass sich die GEMA-Gebühr auf den Brutto-Eintritt bezieht. Davon müssen wir hier in Köln 19 Prozent Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeben.« Bohne weiß, wovon er spricht. Er vertritt mehr als 60 Clubs und Veranstalter in der Stadt. Sein Verein, die Kölner »Klubkomm«, hat sich vor zwei Jahren gegründet. »Nach ›Duisburg‹«, sagt Bohne.
Die Love-Parade-Katastrophe hat vieles verändert in seiner Branche. Sie hat das Image der Nightlife-Szene in manchen Kreisen von »hedonistisch, aber harmlos« in »gefährlich« verwandelt. Seit 2010 wurden die Sicherheitsanforderungen bei öffentlichen Veranstaltungen verschärft, Besucherzahlen eingeschränkt, bauliche Veränderungen eingefordert. Die Stadt Köln lud Bohne & Co. nach der Love Parade ins Bauamt ein, es ging um Sicherheit im Nachtleben. Die Beamten ließen einen Film laufen, zu sehen war die Massenpanik in einem thailändischen Club. »Die Sicherheit der Gäste hat für uns alle Priorität«, betont Bohne, »aber die Szenen hatten mit deutschen Verhältnissen wirklich überhaupt nichts zu tun.«
Tragischer Zufall oder nicht, die Love Parade war der Anfang einer Welle von Neuregelungen, die sich nun summieren. Als nächstes mussten Raucherräume eingerichtet werden. »Manche Klubkomm-Mitglieder haben für die baulichen Veränderungen 30.000 Euro ausgegeben. Nun ist das Ganze hinfällig.« Bohne meint den Plan der rot-grünen Landesregierung, das Rauchverbot nun ohne Ausnahmen durchzusetzen. Damit hat Bohne grundsätzlich kein Problem. Schwierig sei die Situation vor der Tür. »Wenn ein Club 500 bis 1000 Leute fasst, dann werden draußen 300 Leute stehen, eine Zigarette rauchen und reden, mit dem entsprechenden Lärmpegel.« Bohne hofft auf eine Aufklärungskampagne der Politik: »Die Bevölkerung muss zur Toleranz aufgerufen werden«.
Präzedenzfall ist die Situation in Bayern. Dort sind Zigaretten inzwischen ganz aus den Clubs verbannt. Die Lärmbeschwerden aus der Nachbarschaft häufen sich. Aber auch anderswo macht sich der Anwohnerdruck bemerkbar. In einstigen Berliner Ausgehvierteln wie Prenzlauer Berg ist die Zahl der Bars und Clubs in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen. Dass es oft die früheren Clubber (und nun Familienväter) sind, die sich beschweren, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
ANTI-GEMA-DEMO IN BERLIN
Sicherheitsregelungen, Rauchverbot und nun auch noch die GEMA – vielleicht liegt der ungewöhnlich laute Protest gegen die neuen Gebührenauch an dem Gefühl, die Welt habe sich plötzlich gegen die Clubs verschworen. Anfang September versammelten sich mehrere Hundert Menschen in Berlin zu einer Anti-Gebühren-Demo. »Clubkiller«, »Bohlensteuer« und »GEMA kacken« war auf einigen Plakaten zu lesen. Schießen die Veranstalter mit solchen Auftritten nicht über das Ziel hinaus? Beim Wort »Bohlensteuer« muss Bohne lachen. Gleichzeitig gibt er zu, dass sich die Nightlife-Szene auch mal in Halbwahrheiten und Polemik verstrickt. Da sei ohnehin ein Missverständnis entstanden. »Niemand von uns hat etwas gegen eine moderate Anhebung der Gebühren – solange die Mitglieder, die wir repräsentieren, etwas davon haben.« Tatsächlich kommt das von der GEMA eingesammelte Geld bei den in der Elektronikszene gespielten Künstlern selten an. Produzenten und DJs wie Monika Kruse oder Dr Motte erhalten laut eigenen Angaben im Jahr rund 100 Euro von der GEMA. Bei weniger bekannten DJs dürfte das Ganze auf Cent-Beträge hinauslaufen. Wie die Summen berechnet werden, sei ein Mysterium, findet Bohne. Nicht zu Unrecht. Das von der GEMA angewandte System der Überprüfung ist veraltet und – im doppelten Wortsinn – komisch. In einer nicht näher bezifferten Zahl von Clubs hat die Gesellschaft geheime »Hitstationen« installiert. Am anderen Ende der Leitung sitzt ein Mitarbeiter mit Kopfhörer, notiert die Reihenfolge der gespielten Stücke und protokolliert das Nachtleben der anderen. Und das, obwohl aktuelle Smartphone-Programme wie »Shazam« (Preis: 4 Euro) in der Lage sind, einen Großteil des Musik-repertoires automatisch zu erkennen.
MUSS ALLES GEREGELT SEIN?
Hinter der Diskussion um Nachbarn, Raucher und GEMA-Gebühren steckt eine wichtige Frage: Wie viele Abenteuerspielplätze will sich eine Gesellschaft leisten? Oder, in Bohnes Worten: »Wie sieht die Großstadt aus, in der man leben will? Brauchen wir Freiräume, in denen nicht alles geregelt ist?« Die Antwort gibt er selbst: »Ich denke, sonst können keine Subkulturen und keine Netzwerke entstehen. Und das hat am Ende auch wirtschaftliche Folgen.« Das Schreckgespenst von überregulierten, toten Innenstädten geht um. Wahlweise auch das der »Gentrifizierung«. In Berlin zu beobachten an der Situation in Prenzlauer Berg, wo für jede geschlossene Bar zwei Geschäfte für bedruckte Baby-T-Shirts und Holztretroller aufgemacht zu haben scheinen. Auf der anderen Seite liegt die Kurzlebigkeit von Clubs natürlich in der Natur der Sache. Das gilt auch für die Verlagerung von Ausgehvierteln in andere, günstigere Quartiere. Vorausgesetzt, solche Quartiere existieren weiter. Man müsse nur aufpassen, »dass nicht der letzte Keller in Mitte saniert werde«, sagte Burkhard Kieker, Geschäftsführer von »visitBerlin«, am Rande der Music Week. Seine Warnung gilt auch für andere Städte.
Ganz hoffnungslos ist die Lage nicht – zumindest, was die GEMA angeht. Anfang des Jahres zeigte sie sich verhandlungsbereit. In Gesprächen mit dem (von der Tarifreform ebenfalls betroffenen) deutschen Karnevalsverband wurde ein Kompromiss erzielt. In dem Zusammenhang kippte u.a. der Langzeitzuschlag für Veranstaltungen über fünf Stunden. »Wir hoffen, dass der bei uns auch fällt«, sagt Bohne. »Ich meine, welche Party ist nach fünf Stunden zu Ende?« Ende November beginnt die nächste Gesprächsrunde mit der GEMA. Ergebnis offen.