Schwitzende Körper, enthemmte Massen – wer in den Club geht, sucht ein Gegenmodell zum Alltag. Wo Abstandsregeln, Maskenpflicht und Hygienevorschriften anderorts schon Einschränkungen sind – hier wären sie undenkbar. Im Freiheitsraum riesiger Partys hilft es wenig, dass gerade die Bestimmungen des Lockdowns ständig gelockert werden. Doch wie gehen Clubbesitzer damit um? Kay Shanghai habe zwar »konstruktive Gespräche« mit der Stadt Essen geführt, wie der Partyveranstalter erzählt. »Aber das Hotel Shanghai wird noch bis Ende des Jahres geschlossen bleiben«, sagt er erstaunlich gelassen. Nicht von einem Booking zum nächsten denken, nicht alle paar Wochen die Nacht neu erfinden zu müssen, das gebe ihm die Gelegenheit, auch mal grundsätzlich über die Zukunft und Ausrichtung seines Clubs nachzudenken. Und sich zurzeit ganz auf sein Hip-Hop-Projekt zu konzentrieren, das kurz vor der Veröffentlichung steht.
Als das Kölner »Roxy« allerdings kürzlich seine Schließung verkündete, war das eine Schock-Meldung für die Szene in NRW. Der Club ist Kult, seit 1974 eine Institution am Rudolfplatz. Hier waren Velvet Underground oder David Bowie auf dem Plattenteller gelaufen oder Künstler wie Sigmar Polke ein- und ausgegangen. Allerdings beteuerten die Betreiber, dass die Corona-Beschränkungen nur zum Teil ihre Entscheidung beeinflusst hätten. Ende des Jahres hätte ein neuer Zehn-Jahres-Mietvertrag verhandelt werden müssen. So zogen die Betreiber des Soul-, Funk- und Discoclubs die Notbremse. Nicht ohne eine Wiedereröffnung an anderer Stelle in Aussicht zu stellen.
Derweil gibt es in Münster Ansätze, das Partygeschehen wieder anzukurbeln. Open Air ist mehr möglich als in engen, stickigen Kellern, die vor Aerosolen dampfen. Das zeigte Thomas Pieper, dem unter anderem das »Coconut Beach« gehört und der seine Partylocation nach eigenen Angaben als eine der ersten in Europa nach dem Lockdown öffnete. 100 Gäste durften auf einer rund 7000 Quadratmeter großen Fläche in markierten Bereichen zu Musik von DJ Gerd Janson tanzen. 70 Euro kostete das Ticket – dafür gab es allerdings ein Komplettpaket mit Barbecue. »Nach Party hat sich das Tanzen auf Abstand trotzdem angefühlt«, erzählt DJ Phil Fuldner, der als Gast dabei war. Das Ordnungsamt habe zwar regelmäßig vorbeigeschaut, hatte aber offensichtlich nichts zu beanstanden, denn schon Anfang Juni öffnete das »Coconut Beach« ein weiteres Mal – diesmal für 150 Gäste.
Ende Mai noch hatten Rave-Fans bei einer »Schlauchboot-Demo« in Berlin auf dem Landwehrkanal protestieren wollen. 3000 Menschen ließen daraufhin alle Abstandsregeln fahren und drängelten sich in Booten und am Ufer. Was als Plädoyer für die Wiederöffnung der Berliner Clubs und staatliche Hilfsprogramme geplant war, bestätigte nur die Befürchtungen all jener, die die Partywelt für grundsätzlich verantwortungslos halten. »Disziplin« ist kein Wort, das im Sprachgebrauch der Szene sonst einen besonderen Stellenwert genießt. Wie wichtig es allerdings werden könnte, zeigt das Beispiel aus Münster, das auch ein Signal an die Behörden ist: mit Abstand geht es eben doch. »Ich war einfach erst mal froh, endlich wieder aufzulegen«, erzählt der international erfolgreiche DJ Moguai aus Recklinghausen. Anfang Mai hatte er seinen ersten Auftritt – im Autokino der Kulturwerke Monheim. Für ihn persönlich, der es gewohnt ist, jedes Wochenende unterwegs zu sein, auch einfach ein Stück wiedererlangte Normalität. Allerdings sei es eine Herausforderung, die Zuhörer*innen emotional mitzunehmen, wenn sie in Autos sitzen. »Ein Partykonzept für die Zukunft ist das eher nicht.«
Dennoch zeigt die Krise, wie sehr die Clubs zusammenrücken. »Viele lassen das übliche Konkurrenzdenken nun hinter sich«, sagt DJ Phil Fuldner. Durch Corona hätten Fragen, die schon lange die Szene umtreiben, eine neue Bedeutung erlangt. Warum werden zum Beispiel privatwirtschaftliche Clubs immer noch nicht als integraler Bestandteil des kulturellen Lebens wahrgenommen? Insbesondere steuerrechtlich ist das relevant, Clubbetreiber zahlen die gleichen (höheren) Abgaben wie Vergnügungs-, nicht aber wie Konzertbetriebe. Das Auflegen von DJs wird also noch immer weniger als Livekunst wahrgenommen als ein Rock-Konzert. Die Live-Initiative Lina, die vor allem während des Lockdowns mit »United we stream« DJ-Sets streamte, will künftig noch stärker in Erscheinung treten. Es geht darum, die Bedeutung einer lebendigen Clubszene herauszustellen. DJ Phil Fuldner ist jedenfalls zuversichtlich, dass schon lange schwelende Diskussionen nun endlich mit der Politik ausgetragen werden. Und die Clubszene in NRW im kommenden Winter wieder aufersteht – dann vielleicht sogar gestärkt.