Geld ist kein Problem in Monheim, seitdem Daniel Zimmermann mit gerade einmal 27 Jahren und seiner selbstgegründeten Schülerpartei »Peto« vor zehn Jahren jüngster Bürgermeister in NRW wurde und begann, die Gewerbesteuer drastisch zu senken. In der Kleinstadt sind die Kitas kostenlos, die Parkplätze, das W-LAN und der öffentliche Nahverkehr. Zuletzt bekam jede*r 18-Jährige ein Interrail-Ticket geschenkt – jetzt wird in Kultur investiert. Bis 2024 ist mit der »Kulturraffinerie K714« eine Multifunktionshalle am Wasser geplant. Aber wer soll im riesigen Konzertsaal zwischen Köln und Düsseldorf überhaupt spielen? Ein Ortsbesuch am Rhein.
Schmierige Autowerkstätten oder klotzige Baumärkte? Das Industriegebiet von Monheim sieht anders aus. Im Logo der Chemiefirma Oxea blubbern frisch ein paar Blasen aus dem Anfangsbuchstaben heraus. Und aus den raumhohen Fenstern des Bürokomplexes geht der Blick hinüber zu den Firmensitzen von BASF, Bayer, Henkel oder UPS. Seitdem Daniel Zimmermann Bürgermeister von Monheim ist, sind 4500 Jobs entstanden und 450 Firmen hergezogen. Etwa der Konzern mit dem Blubber-Logo, der seine Produktion in Oberhausen beließ, aber die Verwaltung lieber an den Rhein verlegte – schließlich hat Monheim den niedrigsten Gewerbesteuersatz in NRW. Und damit einen jährlichen Überschuss in zweistelliger Millionenhöhe, den die Kommune bisher gern in Soziales und die Stadtentwicklung steckte. Und nun, so intensiv wie noch nie, in Kultur.
Als Ulla Hahn 2001 ihren autobiografischen Roman »Das verborgene Wort« veröffentlichte, beschrieb sie den Ort ihrer Kindheit als vor allem: kleinbürgerlich. Katholisch. Konservativ. Ins Museum oder Theater musste Hahns Protagonistin Hilla umständlich mit dem Bus fahren, nach Düsseldorf oder Köln. Geändert hat sich seitdem viel – das aber nicht. In Monheim gibt es eine Aula für Konzerte. Und das Ulla-Hahn-Haus für Lesungen. Sonst aber nicht mal einen eigenen Bahnhof. Ein weißer Fleck in der Kulturlandschaft NRWs zu sein, hat aber auch Vorteile: Während Städte wie Leverkusen oder Marl am Sanierungsstau ihrer Kulturbauten ersticken und selbst die Schließung von Museen kein Tabuthema mehr ist, hat Monheim in diese Richtung: keine Verpflichtungen. Aber viel Geld. Deshalb sei es Zeit, sagt Daniel Zimmermann, nun einen kulturellen »Identifikationsraum« zu schaffen. An diesem Nachmittag ist der Bürgermeister daher in den Businesspark geradelt, um sein neuestes Projekt vorzustellen: die »Kulturraffinerie K714«, die zwar direkt neben Oxea liegt, dann aber zwischen den Firmensitzen wie ein Fremdkörper wirkt.
Eine der modernsten Raffinerien Europas
Dabei waren die Fassabfüllhallen der Mineralölwerke Rhenania natürlich lange vor den Chemiebetrieben und Logistikfirmen da. Gebaut 1913 bis 1915 als eine der damals modernsten Raffinerien Deutschlands stand das Gelände, das zuletzt eine Speditionsfirma als Zwischenlager nutzte, für Schmiere und Schmutz. Ein historisches Foto zeigt die Backsteingebäude umgeben von rauchenden Schloten. 140 mal 70 Meter groß – etwas mehr als ein Fußballfeld. Zwar etwas unschön von einer vielbefahrenen Straße abgetrennt, aber dann eben nah am Wasser gelegen. Bis 2024 werden die alten Hallen nun aufpoliert. Dann bekommen sie offiziell den Namen »Kulturraffinerie«, der Zusatz »714« steht für den Rheinkilometer ihres Standorts. Kostenpunkt: mindestens 74 Millionen Euro, unter Kritikern ist von deutlich mehr die Rede. Im Mittelpunkt soll nach Plänen von Bez+Kock, die auch das Anneliese Brost Musikforum in Bochum entwickelten, ein Kubus mit Glasziegeln aufragen – der große Saal, in dem über einem absenkbaren Parkett zwei Oberränge den Blick auf die Bühne gewähren. Der gesamte Bau, vor allem seine besondere Stahlbetonkonstruktion, steht unter Denkmalschutz. Dennoch soll der LVR zugestimmt haben, dass einige Säulen beim Umbau verschwinden. Denn geplant ist ein multifunktionaler Veranstaltungsbetrieb. Mit Dachterrasse und Panoramarestaurant.
Wozu aber braucht eine Kleinstadt einen so großen Veranstaltungsort? »Weil es bisher so etwas noch nicht in Monheim gibt«, sagt Daniel Zimmermann lapidar. Er plane das Projekt in erster Linie für die Monheimer, dann noch für die Menschen 20, 30 Kilometer rund um seine Stadt – bis Dortmund schaue er nicht. Bewusst. Monheim first, das ist sein Credo seit jeher. In der Wirtschaft, wo das Steuermodell in keiner benachbarten Kommune wiederholbar wäre – sie würden sich nur immer weiter unterbieten. Und nun in der Kultur, die eben auch ein Standortfaktor für die Wirtschaft ist. Mit dem Slogan »Lebensqualität. An jeder Ecke« wirbt denn auch die städtische Wirtschaftsförderung auf ihrer Internetseite für das kulturelle Angebot, das Zimmermann propper ausgestattet hat: 3 Millionen Euro fließen jährlich in Konzerte, Auto-Kino- oder Kabarett-Veranstaltungen allein der Monheimer Kulturwerke, einer 100-prozentigen Tochter der Stadt. Weitere 1,5 Millionen Euro in den Aufbau der »Monheim Triennale«, ein Festival für zeitgenössische Musik, das ab 2021 alle drei Jahre stattfindenden soll.
Als Daniel Zimmermann 2012 die Amtsgeschäfte übernahm, war sein Heimatort einer von vielen gesichtslosen Schlafstädten. Wer in Monheim Abitur machte, musste zum Feiern ins Leverkusener Bayer Casino gehen und für die Berufsorientierungsbörse nach Langenfeld. Für solche Dinge gebe es nun bald einen angemessenen Ort – und noch eine Bühne Brucknerschen Ausmaßes dazu. Je nach Bühnenzuschnitt finden bis zu 1800 Menschen einen Sitzplatz. Zum Vergleich: Die Kölner Philharmonie hat 2000. Für überdimensioniert hält der 37-Jährige das nicht: Große Städte hätten mehrere Häuser für verschiedene Bedürfnisse. Dieses Gebäude müsse eben alles können. Der Rat hat dem Projekt jedenfalls bereits zugestimmt – seit dieser Legislaturperiode hat Zimmermanns »Peto«-Partei die absolute Mehrheit.