Im ersten Moment klang das gut: »179 Milliarden Euro mehr als erwartet bis 2025!«, meldete die Tagesschau, als Anfang November eine neue Steuerschätzung erschien. Allein der Bund werde im kommenden Jahr fast 12 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen, die Länder sogar fast doppelt so viel und selbst für die Kommunen falle noch was ab. Allerdings: Einen Monat zuvor hatte das Bundesfinanzministerium den Fehlbedarf der öffentlichen Haushalte bis zum Jahr 2025 auf volle 470 Milliarden Euro geschätzt. Wenn der jetzt um immerhin 180 Milliarden geringer ausfällt, liegt das Minus trotzdem noch bei 290 Milliarden Euro. Dieses – Pandemie-bedingte – Minus wird spätestens 2023 auf die Etats von Ländern und Kommunen durchschlagen, aus denen in NRW gut 85 Prozent aller öffentlichen Kulturausgaben stammen. Und selbst wenn die dann – im wirklich besten aller denkbaren Fälle – stabil bleiben sollten: Fürs gleiche Geld gibt’s künftig nicht mehr gleich viel Kultur wie bisher.
Das hat vor allem drei Gründe: Erstens die Inflationsrate, die zurzeit bei 4,5 Prozent liegt, so hoch wie zuletzt vor 28 Jahren. Die tatsächliche Ausgabenentwicklung in den Kultureinrichtungen spiegelt das jedoch nur unzureichend wider: Hier kosten nämlich vor allem Personal, Bau(t)en und Energie. Strom, Gas und Öl waren im Oktober 2021 aber volle 18 Prozent teurer als ein Jahr zuvor, die Baupreise lagen 12 Prozentpunkte höher, die Löhne im zweiten Quartal 2021 immerhin noch um 5. Selbst wenn die Kosten des Gesamtbetriebs nur um diese 5 Prozent jährlich zulegten, würden Theater, Museen und Bibliotheken mit ihren aktuellen Etats bereits in vier Jahren, also 2025, nur noch gut drei Viertel ihrer heutigen Angebote finanzieren können.
Zusätzlich schreibt das neue Kulturfördergesetz NRW, das am 1. Januar 2022 in Kraft treten wird, erstmals echte Mindestvergütungen für Künstler*innen (und die drumherum wirkenden Gewerke) vor. Die Direktorin des Kunstmuseums Bochum, Noor Mertens, sagte Ende Oktober auf einer Fachtagung in Berlin, dass die Ausstellungen von 2019, also des letzten regulären Jahres vor Corona, unter den neuen Bedingungen mindestens 20 Prozent teurer würden. Dieses Geld extra aus der Stadtkasse zu bekommen, nannte sie wenig wahrscheinlich.
Kostentreiber Klimaschutz
Der dritte und vielleicht sogar größte Kostentreiber wird aber der Klimaschutz. Seit diesem Jahr ist die Verringerung der Treibhausgase bis 2030 um zwei Drittel gesetzlich(!) vorgeschrieben. In den drei Dekaden seit dem Referenzjahr 1990 wurde aber erst ein Drittel geschafft – für das zweite bleiben jetzt nur noch acht Jahre. Also werden drastische Maßnahmen nötig, und es herrscht weitgehende Einigkeit, dass »die Kultur« sich dabei nicht ausnehmen kann. Prinzipiell gibt es aber nur zwei Möglichkeiten: Entweder man baut den ganzen Betrieb mit hohen Investitionen schnell klimaneutral um (teuer) und kompensiert die Emissionen, die unvermeidlich bleiben (auch teuer) – oder man macht weniger: Weniger Premieren, Aufführungen, Ausstellungen, weniger Reisen von Kunstwerken, Künstler*innen, Kurator*innen und Besucher*innen … also weniger von allem, was das kulturelle Leben hierzulande so reichhaltig, vielfältig und spannend macht.
Die »Große Transformation«, von der jetzt alle reden, wird ein paar Selbstverständlichkeiten der letzten Jahrzehnte nicht bloß irgendwie in Frage stellen, sondern schlicht beenden. Dazu gehört, dass ausgerechnet im ach so kapitalismuskritischen Kulturbereich »besser« immer zuerst meinte: »mehr«. Das Ende dieses Selbstbetruges ist überfällig, die notwendige Konsequenz lautet: Beschränkung. Im Zusammenhang mit dem Thema dieser kultur.west-Ausgabe, der Dunkelheit, kommt mir dazu ein Motto des einstmals sehr berühmten TV-Moderators Ilja Richter in den Sinn: »Licht aus – Spot an!«