Paarbildung erscheint vielen von uns nicht nur aus romantischen Gründen als etwas Naheliegendes und Natürliches: Zwei sind, das steht schon in der Bibel, besser als einer allein. Zu zweit kann man sich unterstützen, abwechseln und ergänzen – nicht nur in der Kunst, sondern sogar in der Wissenschaft. Im glücklichsten Fall erfüllt sich die akademische Paarbildung als gelingende Ehe zweier Forscher-Persönlichkeiten. So zum Beispiel bei Aleida und Jan Assmann: Die Literaturwissenschaftlerin und der Ägyptologe haben fünf Kinder aufgezogen und wurden für ihre wissenschaftlichen Arbeiten mit renommierten Preisen belohnt. Für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels haben sie sich 2018 in der Paulskirche in gleichberechtigter Doppelrede bedankt und an frühere Preis-Paarungen wie Karl Jaspers und seine Laudatorin Hannah Ahrendt oder Alva und Gunnar Myrdal erinnert.
Die Assmanns bilden allerdings eher eine späte Ausnahme in der Geschichte notorisch ungleich verteilter wissenschaftlicher Chancen. So wurde Marie Curie zwar 1908 nach dem Tod ihres Mannes auf den für ihn eingerichteten Lehrstuhl berufen, aber Marianne Weber musste hart um die Publikation ihrer Schriften als Frauenrechtlerin kämpfen und widmete sich über Jahre einer Hommage an den Soziologen Max Weber.
Traditionelle Geschlechterverhältnisse haben akademische Sozialformen seit Jahrhunderten bestimmt. So schon bei der Gründung der ältesten europäischen Universität in Bologna im Jahr 1135 unter dem Motto »Alma mater studiorum«: Hier wird symbolisch eine gütige und schützende Mutter angerufen, die ihre lehrenden und lernenden Kinder mit Bildung nährt. Diese Kinder konnte man sich lange Zeit nur als Söhne vorstellen, was sich noch an einem anderen Prinzip akademischer Paarbildung zeigt: Auch im Verhältnis von Meister und Schüler, wie es das Studium an vielen Kunst-Akademien immer noch vorsieht, waren Frauen bis ins frühe 20. Jahrhundert nicht vorgesehen. Ihre Beiträge für die Wissenschaft hatten sich in Nischen und im Privaten zu bewähren: Als Gattinnen und Töchter, Sekretärinnen und Assistentinnen fiel ihnen die Aufgabe zu, das von Männern gehütete Wissen zu schützen und dabei möglichst unsichtbar zu bleiben.
Das Wort »Nachwuchs« suggeriert: Erwachsene Forscher*innen müssen gepäppelt werden wie junge Vögelchen.
Julika Griem
Auch das seltsame deutsche Wort »Doktorvater« ist dieser Tradition verpflichtet. Es ist vermutlich im späten 19. Jahrhundert entstanden und illustriert, wie sich zu dieser Zeit Wissenschaft als patriarchalische Familienordnung herausgebildet hat. Die Macht dieser Ordnungen zeigt sich auch im nicht weniger merkwürdigen Wort »Nachwuchs«, mit dem immer noch suggeriert wird, dass erwachsene Forscher*innen gepäppelt werden müssen wie junge Vögelchen.
Aber es hat sich auch vieles geändert. Besonders deutlich zeigt sich das Neue auf den Webseiten der Familienbüros deutscher Universitäten, wo mit vielen bunten Bildern für die Vereinbarkeit von Beruflichem und Privatem geworben wird. Am ambitionierten Karlsruher Institute of Technology stößt man auf Playmobil-Figuren, die noch in traditioneller Vater-Mutter-Kinder-Großeltern-Aufstellung angeordnet sind. Auf vielen anderen Seiten sehen wir jedoch junge Väter mit Kindern, oder sogar, wie in Bochum, drei Männer-Generationen. Auch an anderen Universitäten wird die akademisch aktive Familie nicht mehr um das symbiotische heterosexuelle Kernpaar herum gruppiert. So geht es zum Beispiel an der Universität Siegen um alle Lebensgemeinschaften, »in denen eine langfristige soziale Verantwortung für andere wahrgenommen wird: Dazu gehören neben der Kernfamilie auch alleinerziehende Mütter und Väter, nichteheliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, Patchwork- und Pflegefamilien«.
Diese programmatische Öffnung zur diversen Lebensgemeinschaft im Namen der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich gegenwärtige akademische Sozialformen keinesfalls reibungslos gewandelt haben. Jenseits der freundlichen Illustrationen progressiver Ideale wird weiterhin nicht nur um Erkenntnis, sondern auch um Teilhabe, Stellen und Status gerungen. Es gibt eine andere deutsche Wissenschafts-Ehe, die ebenfalls im Jahr 2018, diese konfliktreiche Situation in radikalisierter Weise verkörpert: Anfang Mai dieses Jahres waren auf der Titelseite der New York Times unter der Überschrift »A Very German Love Story« der Germanist Helmuth Lethen und die Philosophin Caroline Sommerfeld abgebildet. Vor einem Bücherregal saßen sie in zwei Ikea-Sesseln Rücken an Rücken, symmetrisches Emblem eines Forscherpaars, das sich und seine Familie in einem politischen Frontenkrieg zwischen linken Traditionen und neuer Rechten aufreibt.
Die Formen akademischer Vergemeinschaftung ändern sich
Das akademische Paar bleibt also problematisch, ob als Mann und Frau, Meister und Schüler, oder auch als »Nachwuchs« von Doktorvätern und -müttern. Im Bereich der Qualifikation von Promovierenden ist noch einmal gut zu beobachten, wie sich gegenwärtig Formen und Rituale akademischer Vergemeinschaftung ändern. Dies reicht bis in die Praxis der Geselligkeit: Neue Ideen werden immer seltener in späten Rotweinrunden ausgeheckt, sondern so organisiert, dass auf partnerschaftlich erziehende Eltern Rücksicht genommen werden kann. Und es gibt viele Diskussionen darüber, in welchen Arbeitszeiten und -formen man am besten zusammenkommt. Selbst in den Geisteswissenschaften wird intensiver versucht, den kleinen Keimzellen zu entkommen und zu kooperieren. Als Modell für Gemeinsamkeit in diesen Fächern taugen allerdings nicht die großen arbeitsteiligen Verbünde, in denen Naturwissenschaftler*innen und Ingenieure sich gut eingerichtet haben.
Wie hartnäckig die Konstellation des Paares ist, hat sich auch am Beispiel der Familien-»Firma« Windsor mit dem »Megxit« durch das Ehepaar Sussex noch einmal gezeigt. Für die Wissenschaft und insbesondere die Geisteswissenschaften sollte man aber besser nicht in Paaren denken, die sich zu Firmen formieren. Sondern lieber in überschaubaren Gruppen, in denen wir auf solidarische Weise Forschungs-Funken schlagen können.
Julika Griem, geboren 1963, leitet seit April 2018 das Kulturwissenschaftliche Institut (KWI) in Essen und war zuvor Professorin für Anglistische Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Seit 2016 ist sie Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ihr Forschungsinteresse gilt unter anderem der Analyse des gegenwärtigen Literaturbetriebs und seiner sich wandelnden Formate und Rituale, der Wissenschaftspolitik und den Institutionen, die Literatur und Literaturwissenschaft überhaupt erst ermöglichen.
Mit Eva von Contzen und Eva Eßlinger organisiert Julika Griem eine Tagung zum Thema: In Kooperation mit dem Essener KWI und dem Institute for Advanced Studies in Freiburg geht es vom 2. bis 4. April um »Alma mater, Doktorvater: Die ›Familienaufstellung‹ der deutschen Wissenschaft«