Bei der Young- und New-Adult-Literatur geht es nicht nur um Lesestoff zwischen Drachenritt und Lovestory, sondern vor allem um die Community junger Menschen. Bookfluencer*innen, digitale Leseclubs und Kommentarspalten entscheiden über Bestseller.
Eine junge Frau hält ein Buchcover in die Selfiekamera: In rosa Lettern von Sternchen-Emojis gerahmt, ploppt der Untertitel »Reading Vlog« auf. »Wie viele Seiten schaffe ich in zwei Stunden?« ist die alles entscheidende Frage. Und so zeigt uns die Bookfluencerin @bookslove128 auf Instagram, wie sie liest: Mehrere Schnitte, aufgerissene Augen, ein offenstehender Mund, ein ungläubiger Blick – ihre »Reactions« verweisen auf einen hochspannenden Plot. »Mit manchen Prota-Entscheidungen war ich nicht so einverstanden« kommentiert sie und meint damit die Figuren des Plots. Aber insgesamt sei die Lektüre »fesselnd« gewesen, 190 Seiten in zwei Stunden sind es geworden. Fesselnd, spannend, atemraubend – das sind Kriterien, die wichtig sind für die sogenannte »Young Adult«-Literatur, die bei »BookTok« oder »Bookstagram« von jungen Leser*innen im Videoformat besprochen wird.
Social-Media-Kanäle sind in den letzten Jahren zur wichtigsten Plattform für junge Leser*innen geworden. Vor allem die Young- und New-Adult-Literatur zeichne sich »durch eine starke Partizipation in Online-Communities aus: Leser*innen diskutieren dort intensiv über Beziehungsmuster und Charaktere, sodass sich fiktionale und reale Aushandlungsprozesse zunehmend überlagern«, stellt die Literaturwissenschaftlerin Christine Lötscher der Universität Zürich fest. #youngadult, #newadult, #romantasy #darkacademia sind die Hashtags, die rund um die Bücher kursieren, die man schon am Cover erkennt: Viele Schwerter sind zu sehen, Rosenranken und Drachenflügel, verschnörkelte Schriftzüge und kahle Bäume, aber auch: Pastelltöne, Schmetterlinge, Glitzerherzchen und verliebte Paare im Comicstil.
»From TikTok with Love«
Unter dem Überbegriff »Young Adult« bringt die Branche Jugendbücher für Teenager zusammen. Darunter besonders beliebt: »Romantasy«, Bücher, in denen sich Liebes- und Fantasygeschichten vereinen. Das Genre ist zwar nicht neu – man denke etwa an Stephanie Meyers »Bis(s) zum Morgengrauen«-Reihe aus den Nullerjahren – doch die Vernetzung junger Leser*innen über Social-Media-Kanäle und BookTok-Influencer*innen verleihen ihr eine ganz neue Präsenz. So zeigt @taneajoanna etwa ihren 194.445 Follower*innen ihre Lieblingsbücher und kommentiert deren Stärken kurz und knapp: »Den Twist habe ich nicht kommen sehen« oder »Ich habe in der Bahn geheult«. Unter ihrem Video tummeln sich zahlreiche Kommentare mit weiteren Buchempfehlungen, Likes und Herzchen.
Seit März 2024 veröffentlicht das Börsenblatt des deutschen Buchhandels die BookTok-Bestseller Young Adult. Im Buchladen verweisen Schildchen mit der Aufschrift »From TikTok with Love« auf den sie umgebenden Internet-Hype. Auf den Klappentexten garantieren Zitate von @itsjessmess, @julezreads oder @nathalie_reads die Qualität der Lektüre.
Das Phänomen BookTok bestimmt also den Markt mit – und damit auch die Arbeit in der Buchbranche. Ein Grund, warum Verlage vermehrt auf Imprints setzen, die ihr Programm für ein junges Publikum spezifizieren. Zuletzt machte der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch mit seinem neuen Imprint »kiwi sphere« unter der Programmleitung von Mona Lang auf sich aufmerksam, das sich an junge Erwachsene richtet. Lang, die bereits seit 13 Jahren für KiWi arbeitet und selbst bei Instagram mit Buchclubs und -tipps aktiv ist, ist die Rolle der Sozialen Medien für die jüngere Leser*innenschaft bewusst: »Es war klar, dass wir den Community-Gedanken verfolgen wollen – und der ist eben über Social Media zu generieren. Wir mussten also eine ganz eigene Infrastruktur aufbauen.« Seit der Corona-Zeit gebe es eine ziemlich große Gruppe an Menschen, die Lesen als »Hardcore-Hobby« pflegen würden, erklärt Lang. »Das sind junge Menschen, die Young- und New-Adult-Literatur lesen – und zwar nicht so wie Erwachsene. Sie zelebrieren das Lesen. Bilden Communities bei BookTok und Instagram oder über Apps wie Reado, in denen man Buddyreads machen kann. Sie gehen auf Festivals wie das Lyx-Festival, um sich zu treffen. Für uns Verlage ist es total toll, dass Lesen wieder zum Happening wird.«
Dass wir heute von Young Adult statt Jugendbuch sprechen, habe dabei weniger einen inhaltlichen Grund. Das »Boy meets Girl«-Schema sei schließlich schon seit jeher Erfolgsgarant für Jugendliteratur, erklärt Lang. Gleiches gelte für die Überschneidung von Fantasy und Romance. »All diese Tropes sind nichts Neues. Sie wurden nur neu gelabelt und damit im Marketing etwas spitzer gemacht« resümiert die Lektorin. Dass solche Motive schnell als trivial abgetan werden können, sieht sie entspannt: »Ich habe früher auch gerne Geschichten gelesen, die mich da abgeholt haben, wo ich im Leben stand. Die großen Bestseller sind ja oft sehr eskapistisch. Die aktuelle junge Generation hat es nun mal nicht leicht mit all ihren Themen – von Corona kommend in einer wirklich (nicht nur wirtschaftlich) schwierigen Situation. Dass sie dann das Bedürfnis haben, tausend Seiten Drachen-Romantasy zu lesen, die einen einfach raus aus der Welt bringen, kann ich mega nachvollziehen.«
Dass die Bücher bisweilen nicht gerade schmal sind, beweist die suchtartige Rezeption der jüngeren Leser*innenschaft. Die durchschnittliche Reado-Nutzerin (und ja, es sind meist junge Frauen*) liest 50 Bücher im Jahr. »Wir rechnen im Verlag im Durchschnitt mit 5 Büchern pro Kopf pro Jahr. Und diese Zielgruppe liest 50 – besser geht es für uns nicht!«, freut sich Mona Lang als Verlagsvertreterin. Mit »kiwi sphere« möchten auch sie und ihr Team dem Bedürfnis nach Lovestories und Eskapismus nachgehen, dabei aber keine überholten Stereotype reproduzieren, die in vielen Young und New Adult-Büchern durchaus vorkommen. »In unserem ersten Programm haben wir zum Beispiel eine ganz klassische Romance-Novel. Der Love-Interest ist ein junger Bestatter – der demisexuell ist.«
Was liest TikTok?
Soziale Medien sind eine wichtige Vernetzungsplattform für junge Leser*innen der Young- und New Adult-Literatur. Bei BookTok werden Bücher kritisiert, Lesetipps gegeben und das Lesen zum Hype gemacht. Aber was lesen die Teenager? Drei Bücher aus den aktuellen Top 10.

From Enemies to Lovers
»Ich versuche, unbemerkt in der Menge unterzutauchen, in der Hoffnung, von der Strömung aus Körpern hinweggerissen zu werden. In der Hoffnung, dass er vergisst, dass ich ihn gerettet habe.«
(Aus Lauren Roberts »Powerless. Das Spiel«)
Wenn man über »Romantasy« spricht, ist an ihr aktuell kein Vorbeikommen: die US-amerikanische Schriftstellerin Lauren Roberts ist in der vom Börsenblatt veröffentlichten Top 10 der erfolgreichsten BookTok-Literatur mit gleich drei Büchern vertreten. Mit ihrem Debüt, dem ersten Teil ihrer »Powerless«-Reihe, eroberte sie die New-York-Times-Bestsellerliste. Charakteristisch für das Genre vereint sie in ihrer Literatur eine düster anmutend magische Welt mit einer fesselnden Liebesgeschichte zwischen verfeindeten Protagonist*innen – womit sie den bei BookTok beliebten »Enemies-to-Lovers-Trope« (Hallo Shakespeare!) bedient. Seit eine Seuche im Königreich Ilya einigen Bewohner*innen magische Kräfte verliehen hat, werden diejenigen ohne Kräfte gejagt. Eine davon ist Paedyn Gray, der es durch geschickte Täuschung gelingt, unauffällig zu bleiben. Bis sie Prinz Kai, den Sohn des Königs rettet und die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie wird auf die Liste der Säuberungsspiele gewählt – in denen sie ihre nicht vorhandene Kraft unter Beweis stellen muss. Ein Plot, der auf den Sozialen Medien durch die Decke ging – und doch sehr an Suzanne Collins »Die Tribute von Panem« erinnert.
Lauren Roberts »Powerless. Das Spiel«, Penhaligon, 656 Seiten, 18 Euro

Ein zweifelhafter Mord
»Er ist unschuldig. Diese drei Worte gingen mir heute in der Schule ununterbrochen durch den Kopf.«
(Holla Jacksons »A Good Girl’s Guide to Murder«)
Wie der Titel dieses Top-Hits bereits vermuten lässt, erzählt die 32-jährige Autorin Holla Jackson mit »A Good Girl’s Guide to Murder« keine Liebes-, sondern eine Kriminalgeschichte. Schon im 14. Monat steht der Jugendkrimi bei BookTok auf der Bestsellerliste und wurde 2024 verfilmt – zu sehen bei Netflix und in der ZDF-Mediathek. Die 17-jährige Pippa Fitz-Amobie will mit ihrem Abschlussprojekt in der Schule den Mordfall an ihrer ehemaligen Mitschülerin Andie Bell untersuchen. Wer der Täter ist, darüber ist sich die Kleinstadt Little Kilton einig. Doch Pippa hat Zweifel. Sie rollt den Fall von Neuem auf und stößt auf rätselhafte Ereignisse, Lügen und Geheimnisse. Das Besondere an dem Buch: Peppa notiert sich ihre Gedanken und Erkenntnisse in ein Notizheft, das im Buch visualisiert wird. Die Leser*innen können die Ermittlungen somit anhand von Pippas Zeichnungen, Notizen und Interviewabschriften mitverfolgen.
Holla Jacksons »A Good Girl’s Guide to Murder«, ONE, 480 Seiten, 15 Euro

Herzschmerz mit teuflischem Pakt
»Für jeden, der je aus einem gebrochenen Herzen heraus eine schlechte Entscheidung getroffen hat.«
(Aus Stephanie Garbers »Once Upon a Broken Heart«)
Stephanie Garber stellt ihrem Roman eine Widmung voraus, die keinen Zweifel lässt: Es wird romantisch! Bereits mit ihrem Bestseller-Debüt, der »Caraval«-Trilogie, erreichte die US-amerikanische Autorin die Herzen ihrer Fans. Und auch in ihrer neuen Trilogie bleibt es magisch – und wird es märchenhaft. Es war einmal Evangeline Fox, deren große Liebe … eine andere heiraten will. Für Evangeline ist klar: Das gilt es zu verhindern, koste es was es wolle. In ihrem Falle kostet es drei magische Küsse, die sie dem zwiespältigen Jacks, Prinz der Herzen, im Tausch für seine Hilfe schuldig bleibt (Hallo Goethe!). Der Handel bleibt natürlich nicht ohne Nachspiel, denn der unsterbliche Jacks hat andere Pläne für Evangeline als ein Happy End. Eine Liebesgeschichte zwischen Intrigen, Magie und der Hoffnung auf ein märchenhaftes »Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute«, die bereits seit über einem Jahr in der BookTok-Bestsellerliste gefeiert wird. »Dieses Buch ist ein absolutes Pralinenbuch, also ein Buch zum stückchenweise Genießen« teilt Alex (@alexxoxxoo.books) in ihrem BookTok. »Ich hab dieses Buch verschlungen. Es ist so gut« beteuert @nathalie_reads.
Stephanie Garber: »Once Upon a Broken Heart«, CBJ, 480 Seiten, 17 Euro