Sie brechen Rekorde – und manches Herz. Sie steigen auf. Sie steigen ab. Und manchmal ein, in die Charts. Aus Enthusiasmus, aus Geldnot oder purer Ignoranz ihrer eigenen Sangeskünste: Der Kunsthistoriker Josef Spiegel hat sich mit dem Phänomen singender Sportler*innen beschäftigt und eine Sammlung angelegt, die er im Juli auch öffentlich zeigt. Warum singen Sportler*innen überhaupt? Was und wovon? Ein Gespräch über 44 Beine auf dem Fußballfeld und ein kurioses Stück Popkultur.
kultur.west: Herr Spiegel, seit Jahrzehnten wandern Sportler*innen ins Aufnahmestudio. Treffen sie dabei Tore besser als Töne?
SPIEGEL: Generell sind Sportler*innen bisher eher nicht aufgrund ihrer ausgewiesenen Sangeskünste ins Aufnahmestudio gebeten worden, sondern wegen ihres mehr oder minder ausgeprägten Promi-Status’. Das waren nicht nur Fußballer, sondern auch andere Größen des Sports wie etwa Weltmeister oder Olympiasieger à la Willy Kuhweide. Er hatte 1964 in Tokio die Goldmedaille im Finn-Dinghy-Segeln gewonnen und durfte danach »Das sind doch kleine Fische« singen. Es wirft aber ein bezeichnendes Licht auf die Mechanismen des Schlager- und Pop-Betriebs, dass der Übergang vom Sport ins Tonstudio relativ problemlos möglich war. Umgekehrt gilt das nur selten. Man stelle sich – bei allem Respekt – etwa einen Ivan Rebroff als Hürdenläufer vor oder Heino als Reckturner – das scheint schier undenkbar.
kultur.west: Was hat die Sportler überhaupt dazu bewegt, auch noch Musik zu machen?
SPIEGEL: Selbst für bekannte und überaus erfolgreiche Fußballer waren die Gehälter in den 60er Jahren, also in der Hochzeit der singenden Sportler*innen, verglichen mit heute mehr als bescheiden. Es ging ganz simpel um Geld. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel titelte dazu in der ersten Januarausgabe 1967 »Verkaufter Ruhm«. Umgekehrt war es auch ein Geschäftsmodell der Plattenfirmen, Prominente jeglicher Couleur fürs Tralala zu begeistern – so konnte mancher Werbebanner eingespart werden.
kultur.west: Aus welcher Sportart kommen die meisten Musiker*innen in Ihrer Sammlung?
SPIEGEL: Aus dem Fußball.
kultur.west: Warum?
SPIEGEL: Ein Grund dafür ist sicherlich, dass dort Fangesänge von jeher eine wichtige Rolle gespielt haben. Eine Version von Gerry and the Pacemakers’ »You´ll never walk alone« beispielsweise wird in Liverpool vor jedem Spielbeginn seit 1963 angestimmt. Vor nahezu jeder Fußball-WM hat sich die deutsche Nationalmannschaft bemüßigt gefühlt, mit zweifelhaften Sangeskünsten auf das Großereignis einzustimmen, oft mit Verstärkung prominenter Schlagergrößen wie Udo Jürgens oder Lena Valaitis.
kultur.west: Und was ist mit Frauen?
SPIEGEL: Singende Sportlerinnen sind eher die Ausnahme, wie die Eiskunstläuferin Marika Kilius, die sich mehrfach als Sängerin versucht hat. Doch auch sie hat meist im Duett mit ihrer männlichen Paarlaufergänzung Hans-Jürgen Bäumler gesungen.
kultur.west: Und was genau wird da besungen?
SPIEGEL: Häufig haben die Sportler*innen Bezug auf ihre Sportart genommen und diese Inhalte mit den großen Topoi der Popkultur gemixt. Titel wie »1:0 für die Liebe« (Franz Beckenbauer), »44 Beine« (Norbert Nigbur) oder »Amor läuft mit« vom Hürdenläufer Carl Kaufmann zeugen davon ebenso wie die Titel des Leichtathleten Martin Lauer. Als er nach einem Unfall seine sportliche Karriere frühzeitig beenden musste, startete er eine neue als Schlagersänger, der vorwiegend einen Sehnsuchtsort der frühen 60er Jahre besang: den Wilden Westen. Heraus kamen Titel wie »Wenn ich ein Cowboy wär’« oder »Pferde und Sättel«.
kultur.west: Gibt es in Ihrer Sammlung auch wirklich gute Sänger*innen?
SPIEGEL: Es gibt sicherlich eine Reihe von Songs, die mich schier begeistern und zugleich ein wenig konsternieren können, also fassungslos machen, nicht ob der musikalischen Qualität, sondern weil sie so unerwartet befremdlich daherkommen. Wenn ich etwa die deutsche Cover-Version des Turtels-Hits »Happy together« vom Hammerwerfer Uwe Bayer (»Tagaus tagein, so happy together«) höre, macht es mich schon ein wenig sprachlos. Aber das geht mir generell (und nicht nur mir) bei vielen deutschen Cover-Versionen so. Cindy und Bert haben sich mal an »Paranoid« von Black Sabbath herangetraut. Heraus kam »Der Hund von Baskerville« und Kommentare auf youtube wie »Dafür sollen sie in der Hölle schmoren«.
kultur.west: Gibt es auch Sportler, die von Musiker*innen besungen wurden?
SPIEGEL: Ja, eines der bekanntesten Stücke stammt von dem britischen Pop-Duo Alan und Denise. Sie haben 1983 das sexy Knie vom Stürmerstar Karl-Heinz Rummenige besungen und drei Jahre später dann noch »Beckenbauer, Beckenbauer«. Aber auch herausragende Ereignisse der Sportgeschichte wurden Vinyl-Denkmale gesetzt. Johnny Wakelin hat 1976 »In Zaire« herausgebracht – einen Hitparadenkracher, der den Ko-Sieg von Ali gegen George Forman in Kinshasa mit großer Sympathie feierte (»Rumble in the Jungle«).
kultur.west: Welche Platte in Ihrer Sammlung war zumindest kommerziell ein Erfolg?
SPIEGEL: Da gibt es sicherlich einige. Erinnert sei an den legendären Torwart von München 1860, Peter Radenkovic. Der tauchte als Torhüter nicht nur häufig im gegnerischen Strafraum auf, sondern 1965 mit seinem Schlager »Bin i Radi – bin i König« auch ganz weit vorn in der deutschen Hitparade. Er erreichte als beste Platzierung Nr. 5. Die Single wurde über 400.000 mal verkauft. Der kommerzielle Erfolg dürfte auch dazu beigetragen haben, dass Radenkovic trotz limitierter Gesangskünste weitere Platten veröffentlichen konnte, die mitunter auch bewusst mit den Tücken der deutschen Sprache spielten wie etwa »Bißchen Glück in Liebe – bißchen Glück in Spiel«.
kultur.west: Welchen Song sollte man sich nochmal zu Gemüte führen?
SPIEGEL: Empfehlen würde ich vor allem einige Songs von Boxern im Kontext der jeweiligen Lebens- und Sportgeschichte. Joe Frazier, Ex-Weltmeister im Schwergewicht und phänomenaler Gegenspieler von Muhammad Ali, hat mit »If you go stay gone« eine würdige Soul-Ballade kreiert. Der Kölner Boxer Peter Müller »Ring frei zur nächsten Runde« erinnert mich immer an seinen geschichtsträchtigen Ko-Schlag eines ihm vermeintlich nicht wohlgesonnenen Ringrichters. Und wenn Bubi Scholz »Sie hat nur Blue Jeans« (1959) intoniert, dann ist das wie eine seltsame Zeitreise in scheinbar unbeschwerte Teenager-Träume und gleichzeitig verbunden mit einem großartigen Sportler, der eine nahezu tragische Lebensgeschichte hatte.
kultur.west: Der Schwerpunkt Ihrer Sammlung liegt auf den 60er und 70er Jahren. Warum?
SPIEGEL: Dass liegt daran, dass einfach ab den 80er Jahren singende Sportler*innen nicht mehr so viel veröffentlicht haben. Über die Gründe lässt sich trefflich spekulieren. Fest steht aber, dass diese Aussage auch für andere Promibereiche gilt. Denn neben Sportler*innen haben ja vorher auch sehr viele Filmstars wie Elke Sommer, Marlene Dietrich oder Hans Albers Ausflüge in den Musikkosmos unternommen, später dann auch Funk- und Fernseh-Entertainer wie Lou van Burg, Camillo Felgen oder Dietmar Schönherr. Und selbst ein Bundespräsident wie Walter Scheel brachte es volksnah 1973 mit dem Düsseldorfer Gesangsverein »Hoch auf den gelben Wagen«. Von Angela Merkel oder Olaf Scholz ist mir derartiges nicht bekannt. Nun ja, stimmt im Fall von Merkel nicht ganz. Auf der CD »Satan’s Holiday« von 2019 taucht zum Schluss ein 15 Sekunden-Merkel-Schnipsel auf, aber die Zusammenstellung hat auch den Untertitel »The devil’s jukebox«.
kultur.west: Gibt es aus Ihrer Sicht im Sport etwas, das auch heute besungen werden sollte?
SPIEGEL: Ich wünsche mir, dass überhaupt wieder mehr Sportler*innen singen würden, damit die kuriose Geschichte dieses Genres fortgeschrieben wird. Deren Unterhaltungswert mit oft seltsamen und meist unfreiwilligen philosophischen Verschränkungen ist schon enorm. Ansonsten sammle ich ja eher Rock, Punk, Garage oder Psychedelic und da sind die Aussichten zuweilen deutlich trüber, gilt doch immer noch »Keiner kommt hier lebend raus« (Jim Morrison) in Verbindung mit »Rock’n’Roll lügt nicht. Er verspricht niemals ein glückliches Ende.« (Lou Reed)
Zur Person
Josef Spiegel, Jahrgang 1954, leitete von 1997 bis 2020 das Künstlerdorf Schöppingen. Mit seiner Frau Sigrun Brunsiek baut er gerade das Wasserschloss Reelkirchen im Lipperland zu einem Haus für Künstler*innen aus. Hier ist auch seine Sammlung über singende Sportler*innen beim Sommerfest am 10. Juli zu sehen: »You´ll never walk alone« – Singende Sportler*innen im Schlager- und Popkosmos.