Mit ihrem grenzübergreifenden zweisprachigen Poesiemagazin »Trimaran« schaffen Christoph Wenzel und Stefan Wieczorek Sichtbarkeit für zwei Positionen, die in der Literaturszene zu Unrecht oft nur stiefmütterlich behandelt werden: Dichter*innen und Übersetzer*innen stehen gerade in Deutschland oft nur im gedimmten Rampenlicht. Das wollen beide Redakteure mit ihrem außergewöhnlichen Projekt »Trimaran« ändern. Für jede Ausgabe des Magazins verpaaren sie insgesamt vier Dichter*innen aus Deutschland, den Niederlanden und Flandern, die ihre Verse gegenseitig übersetzen und in Essays und Korrespondenzen die Kunst ihrer Kolleg*innen aus den Nachbarländern kommentieren. So tauchen die Autor*innen, die häufig keinerlei Übersetzungserfahrungen haben, auf intensive Weise in das Werk ihres Gegenübers ein. Sie erkunden Schwerpunkte, Stil und Sound, um eine adäquate Version in ihrer Muttersprache zu finden – oft sogar ohne die Originalsprache zu beherrschen. Wie das funktionieren kann und wie die Übersetzung fremder Gedichte die eigene Arbeit beeinflusst, dafür haben wir mit der deutschen Dichterin Simone Scharbert gesprochen, die für die aktuelle Ausgabe des »Trimaran« ein Duo mit der belgischen Poetin Lies van Gasse bildete.
kultur.west: Frau Scharbert, Sie sind keine professionelle Übersetzerin und standen vor der Aufgabe, die niederländischen Gedichte ihrer Kollegin ins Deutsche zu übersetzen. Wie funktioniert das, vor allem, wenn man nicht fließend Niederländisch spricht?
SCHARBERT:Wir haben interlinear übersetzt. Das heißt, dass ein Übersetzer die Originale für uns zunächst Wort für Wort übersetzt und die Eigenheiten des Wortes in der Herkunftssprache kommentiert hat – zum Beispiel bei »Teekesselchen«, also Wörtern mit zwei Bedeutungen. Die Werkstatt begann mit einem Tag in Aachen, an dem wir alle an einem Tisch saßen mit lauter Lexika und den ersten Texten. Es war ein Hintasten, Annähern, Erklären. Für die Übersetzungen hatten wir dann mehrere Monate Zeit.
kultur.west: Die Erstübersetzung und die Lexika haben Ihnen also geholfen, den Inhalt der Gedichte zu entschlüsseln. Welche weiteren Fragen tun sich vor allem bei der Übersetzung von Lyrik auf?
SCHARBERT: Die kommentierte Übersetzung vermittelt bereits, welche Möglichkeiten in den Wörtern stecken. Was dann die eigene Freiheit ist, ist der Klang: Was macht das Wort mit einem, wenn man es in der anderen Sprache hört und das Verständnis des Textes hat? Was überträgt sich an genauem Inhalt, was ist der Ton oder Rhythmus, den ich glaube zu hören? Was denke ich, was der Text braucht? Und die allerwichtigste Frage: Was denkt Lies? Was wollte sie wohl mit ihrem Text erreichen?
kultur.west: Das ist ja eine völlig andere Arbeit als Sie vermutlich gewöhnt sind, wenn Sie alleine an ihrem Schreibtisch sitzen und schreiben. Was hat Ihnen besonders an der Übersetzungsarbeit gefallen?
SCHARBERT: Ich arbeite so gerne im Dialog. Dieses Hingewendet- und Adressiertsein an jemanden, der auch schreibt, ist wirklich sehr toll, weil man der Sprache automatisch anders begegnet. Sehr viel sorgsamer als wir es sonst im Alltag tun.
kultur.west: Fällt es als Dichterin denn dann auch mal schwer, sich an die Vorlage zu halten und nicht den eigenen Stil walten zu lassen?
SCHARBERT: Doch, man versucht automatisch manche Eigenheiten einzubringen. Aber das ist das Spannende: Die Autarkie des Textes zu belassen und ihn nicht einfach in den eigenen Raum zu transferieren, den man ja eh schon kennt. Ich habe zum Beispiel ganz große Freude am Sprachspiel, am Lautmalerischen – das ist ganz toll im Niederländischen, da musste ich mich zwischendurch bremsen und mir eingestehen: Das ist nicht das, was Lies wollte.
kultur.west: Lies van Gasse hat im Gegenzug auch Ihre Gedichte übersetzt. Gibt es auffällige Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Ihrer Arbeit?
SCHARBERT:Ich arbeite in einem thematisch recht eng gesetzten Feld, formal immer gleich, mit der gleichen Länge, schreibe immer klein, habe eine gewisse Rhythmik und arbeite mit Lautverschiebungen. Lies hingegen hat ein ganz klar artikuliertes Vokabular, alles steht regelrecht im Raum, während meine Sachen eher im Fluss sind. Was uns verbindet, ist der Blick auf die Welt: Was macht Welt mit uns und wie gehen wir mit ihr um? Unsere gemeinsame Grundidee ist, dass man mit Lyrik etwas erreichen kann. Sie ist kein Elfenbeinturm oder nicht verstehbar, sondern bedeutet eine Haltung zur Welt.
kultur.west: Die Übersetzungen der vier Autor*innen ist im »Trimaran« als Heft im Heft konzipiert, das von einem Mantelteil mit Interviews und Essays begleitet wird. In Ihrem Teil des Hefts fällt neben den Gedichten vor allem die Gestaltung auf, die ein eigenes Kunstwerk ergibt. Sie haben sich aufwendig illustrierte Briefe geschrieben. Wie kam es dazu?
SCHARBERT: Ich war zu der Zeit Stadtschreiberin im Schwarzwald und Lies war in Belgien. Lies hat den ersten Brief auf Papier geschrieben und mir per Scan geschickt. Es ist ein ganz anderes Einlassen auf einen Menschen, wenn man Briefe schreibt. Ich schreibe gerne Briefe und habe auch schon seit Jahren ein Postkartenprojekt. Es war sehr konzentriert und schön, die lyrische Arbeit und die Themen im »Trimaran« grafisch und im Brief zu verhandeln.
kultur.west: Hat das Projekt Ihre Arbeit nachhaltig beeinflusst?
SCHARBERT: Es sind bereits weitere Texte daraus entstanden und Lies und ich sehen uns im November – mal gucken, was daraus im Konkreten entsteht! Aber was vor allem geblieben ist: Das Gewahrwerden dessen, was Übersetzungsarbeit macht. Wie selbstverständlich wir in Deutschland Übersetzungen nehmen und nicht sehen, was Übersetzungsarbeit für eine eigene Kunst und wunderbare Arbeit ist. Wörter werden zu einzelnen Boxen, die man aufmachen kann, um zu gucken, was alles drin ist. Ich hoffe, dass solche Projekte wie der »Trimaran« langfristig zeigen, wie wir Verbindungen schaffen können. Gerade in so brüchigen Zeiten.
Zur Person
Simone Scharbert ist 1974 in Aichach geboren, hat Politikwissenschaft, Philosophie und Literatur in München, Augsburg und Wien studiert, anschließend in Politikwissenschaft promoviert. Sie lebt und arbeitet als freie Autorin und Dozentin in Erftstadt. Seit 2017 ist sie Lehrbeauftragte am Institut für Deutsche Sprache der Universität Köln. Ihr Prosaband »du, alice. eine anrufung« ist in einer Bühnenfassung am Schauspiel Köln zu sehen.