Acht Stunden, fünf Tage die Woche. Das ist normal, das hat Tradition in der deutschen Arbeitswelt. Und dann gibt es da ja noch diesen Satz, der fest in vielen Unternehmenskulturen verankert ist: »Das haben wir schon immer so gemacht.« Alles nicht mehr zeitgemäß, findet Lasse Rheingans. Und deswegen hat der Chef der Agentur »Rheingans Digital Enabler« in Bielefeld vor zwei Jahren etwas Radikales gewagt: Er hat den Fünf-Stunden-Tag eingeführt. Bei vollem Gehalt und dem gleichen Urlaubsanspruch wie zuvor arbeitet sein Team seitdem drei Stunden weniger pro Tag. Ein Konzept, das auch als Antwort verstanden werden darf: auf gesellschaftliche Debatten über die Vereinbarkeit von Kind und Karriere, über Work-Live-Balance oder steigende Burn-out-Zahlen. Auch junge Eltern können damit Vollzeit arbeiten – und ihre Kinder trotzdem am frühen Nachmittag in der Kita abholen.
»Toll – aber bei uns würde sowas gar nicht gehen«: Sätze wie diesen hört Lasse Rheingans oft. Der 38-Jährige befürchtet allerdings, dass sich viele noch gar nicht richtig bewusst gemacht haben, in welcher Geschwindigkeit sich die Arbeitswelt gerade verändert. »Unternehmen halten an Prozessen fest, die irgendwann einmal Sinn gemacht haben – heute jedoch nicht mehr.« Dass er es mit seiner Digital-Agentur einfacher hat, etwas zu verändern, als Unternehmer im klassischen Mittelstand oder in Branchen wie dem Gesundheitswesen, lässt er so nicht gelten: »Auch dort gibt es durch die Digitalisierung riesige Umbrüche. Zwei Drittel der ganzen Debatte betreffen nicht die Technik, sondern die Kultur.«
Anfangs ein Experiment
Veränderung fordert allen Beteiligten etwas ab: den Chefs, die sie ein-, den Mitarbeitern, die sie ausführen. Sie braucht Mut und Offenheit, müssen flexibel sein. Seinen Fünf-Stunden-Tag hatte Rheingans anfangs als Experiment deklariert – sicherheitshalber. Denn er konnte nicht wissen, ob das wirklich gut geht. Es lief auch nicht ohne Probleme. Anfangs ging viel soziales Miteinander verloren. »Da waren wir etwas blauäugig, das haben wir unterschätzt.« Für Privatgespräche und Kaffeepausen bleibt keine Zeit, wenn der Arbeitstag von acht auf fünf Stunden verkürzt wird. Das Team, das unter anderem Webseiten konzipiert und gestaltet, muss Kunden davon überzeugen, dass die Agentur trotz der unkonventionellen Arbeitsweise – und recht begrenzter Erreichbarkeit – ein zuverlässiger Auftragnehmer ist.
Das funktioniert nicht ohne intensive Planung, gemeinsame Regeln und Disziplin, sagt Rheingans: Es gibt etwa fest vereinbarte Wochenziele, um acht Uhr sitzt das Team am Platz, konzentriert und leise. Meetings sind auf 15 Minuten begrenzt und E-Mails checken die Mitarbeiter nur zweimal am Tag. Das liegt nicht jedem. Zwei Kollegen beispielsweise haben die Agentur verlassen. Damit das Miteinander nicht auf der Strecke bleibt, treffen sich diejenigen, die Lust haben, nun donnerstagnachmittags. Und freitags ist Kochclub-Zeit.
Lasse Rheingans ist ein unkonventioneller Chef. Für ihn sind »Alpha-Männchen« ein riesiges Problem in der Wirtschaft: »Ich sage ganz bewusst Männchen. Die haben Angst vor Machtverlust. Vor allem davor, dass junge Frauen kommen und ihnen plötzlich zeigen, wo es langgeht.« Gute Führungskräfte von heute stellen »den einzelnen Mitarbeiter in seiner Individualität« in den Mittelpunkt, findet der Digital-Experte.
Rheingans antwortet übrigens auch nachmittags verlässlich auf Medienanfragen. Dafür bleibt am Vormittag kaum Zeit, räumt er ein. Auch in seinem Team arbeitet mal jemand länger als bis 13 Uhr, macht Überstunden: Am Ende sind das dann sechs statt neun – oder sieben statt zehn.
Lasse Rheingans hat über sein neues Arbeitskonzept ein Buch geschrieben: »Die 5-Stunden-Revolution: Wer Erfolg will, muss Arbeit neu denken« ist im Campus Verlag erschienen (224 Seiten, 24,95 Euro)