So viel Gesellschaftspolitik war nie: Erstmals steht das Herbstfestival »Move!_extended« unter einem Motto: »Forms of resistance and being together« sind die 22. Krefelder Tage für modernen Tanz überschrieben. Über einen Zeitraum von sechs Wochen, bis zum 3. November, präsentieren neun Ensembles, davon fünf aus NRW und vier aus anderen Bundesländern, ihre Arbeiten, die auf die Schwingungen in der Gesellschaft reagieren. Denn nicht nur die Folgen von Corona und des russischen Angriffsangriffskriegs auf die Ukraine schreiben sich in die Psyche der Gesellschaft ein. Es geht auch um Künstliche Intelligenz, das Erbe des Kolonialismus‘, Diversität und Hypersexualität.
Ein bewegliches Metallgerüst, das mit einem grobmaschigen Netz aus Sicherheitsgurten bespannt ist. Das ist die Spielwiese der Münchner Choreografin Anna Konjetzky und ihrer vier Tänzer*innen. Hier begeben sich die Power-Performer*innen auf die Suche nach Identität. Risiko durch Übermut eingeschlossen. Das Leben als Balance-Akt, ein Sprung ohne Fallschirm, ein Kampf gegen die Schwerkraft, ein Strampeln im Laufrad, ein leichtsinniges Schwingen und Drehen. »Hope/Less« heißt diese hochdynamische, waghalsige und reflektierte Arbeit, die das Festival am 22. September eröffnet. Der Titel spielt mit den Begriffen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Denn thematisch bewegt sich die Produktion zwischen zwei Polen: Hoffnung als Motor oder als Zustand der Passivität, des Abwartens. Die international erfolgreiche Künstlerin und ihr Team haben für die Performance zahlreiche Interviews geführt. Mit ihren Gesprächspartner*innen unterhielten sie sich über deren persönliche Erwartungen an die Zukunft, ihre Hoffnungen und Ängste.
Ruhiger gehen es die Buchautorin Nadia Shedadeh und der Choreograf Kolja Huneck an. Programm-Macherin Dorothee Monderkamp hat sie in einem Doppelabend zusammengebracht. Denn die stellvertretende Chefin des Kulturbüros legt nicht nur Wert auf Vielseitigkeit bei der Themenwahl, sondern auch bei den Formaten. So liest Shedadeh an dem Abend »Lesung & Gastspiel – schönste Wege des Anti!« aus ihrem Buch »Anti-Girl Boss. Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen« und zeigt, dass Widerstand auch eine Übung in Gelassenheit sein kann. Dazu passend dürfte die Performance »CM_30« sein. Huneck arbeitet mit verschiedenen Scheiben von 30 Zentimeter Durchmesser, mit denen er jongliert, sie aber auch als Lichtquelle oder Reflektoren nutzt. Es entsteht ein feines Spiel aus Licht, Schatten und Farben zwischen zeitgenössischem Zirkus und Installationskunst.
Ein weiteres Highlight verspricht das Gastspiel von CocoonDance. Die Bonner Compagnie beschäftigt sich mit künstlicher Intelligenz. Choreografin Rafaële Giovanola, die sich immer neue Körperwesen einfallen lässt, interessiert sich in »Body Shots« für bizarre Puppen. Im Zeitalter von Humanoiden, Androiden, Cyborgs und Avataren entwirft CocoonDance Nachbildungen seiner Akteure – frei von jedweden Zuschreibungen. So werden diese faszinierenden Doubles ihrer selbst zu Projektionsflächen der Ängste und Wünsche des Publikums.
Außerdem im Programm: das schräge Tanztheater bodytalk mit »Koreality – (K) eine Geisterbeschwörung« über die digitalisierte koreanische Gesellschaft, in der sich drei Handys eine Person teilen. Der vom Philosophen Jürgen Habermas inspirierter Plot: Eine Berufstaucherin rettet einer Schildkröte das Leben und darf zum Dank in eine Unterwasserwelt abtauchen, in der die Grenzen zwischen Leben und Kunst verschwimmen: Digitalisierung als Verlockung und böse Täuschung.
22. September bis 3. November