Klar beherrschen »The Bad Plus« ebenfalls den klassischen Jazz-Kanon in- und auswendig. All die Standards von »My Funny Valentine« bis »Round Midnight«, die zum Grundvokabular eines Jazz-Klaviertrios zählen. Auch sind die drei Musiker aus Minneapolis/Minnesota Stammgäste im legendären New Yorker Traditionsclub Village Vanguard. Dort, wo prominente Kollegen wie Bill Evans und Brad Mehldau mit ihren Trios Jazzgeschichte weitergeschrieben haben. Doch selbst in heiligen Jazzhallen lassen sich Pianist Ethan Iverson, Bassist Reid Anderson und Schlagzeuger David King nicht von ihrem Kurs bzw. ihrer Spielphilosophie abbringen, mit der sie rund um den Erdball äußerst erfolgreich auf Jazzfestivals gastieren. Statt auf kultivierte Cole Porter- und Gershwin-Exegese setzen sie hemdsärmelig auf die grelle Neubelichtung vor allem von Rock- und Pop-Hits.
Coverversionen von Nirvana bis ABBA
Was haben »The Bad Plus« seit dem 2001veröffentlichten Debüt-Album nicht schon alles mit brachialen Lautstärkeschüben und heftig hin- und ausgewuchteten Grooves in die Zentrifuge genommen. »How Deep Is Your Love« von den Bee Gees, »Iron Men« von Black Sabbath und Blondie’s »Heart of Glass« finden sich im Songbook genauso wie Coverversionen von Nirvana, Björk und sogar ABBA. Während Ethan Iverson zumeist seine Finger virtuos ungebremst in die Tasten stanzt, lässt Reid Anderson nicht selten die scheinbar armdicken Saiten seines Kontrabasses schnarren und vibrieren, um sich auch gegen das heftige Schlagzeuggewirbel von David King durchzusetzen.
»Wenn wir Coverversionen auswählen und arrangieren, konsultieren wir ein Orakel und werten es gemeinsam aus«, haben die Musiker ihre Arbeitsweise augenzwinkernd beschrieben, um etwas ernsthafter zu ergänzen: »Wir meinen, dass nur die Fantasie unsere Grenzen festlegen sollte und nicht der Stil.«
Von der Mondscheinsonate bis Queen
Tatsächlich geben die Freigeister in Sekundenschnelle den Ohrwürmern einen neuen Drive, Drall und Geist mit, wenn sie etwa auf die Free-Jazz-Reibereien des Ornette Coleman zurückgreifen. Dann wieder versetzen sie das Rhythmusgetriebe mit verkanteter Bebop-Metrik ins Stocken. Noch die wehmütig dahingleitenden Adagio-Wellen aus Beethovens Mondscheinsonate werden nicht als simpler musikalischer Spaß eingestreut, sondern organisch in die Queen-Hymne »We Are the Champions« verwoben.
Im letzten Jahr ereignete sich gar die dampfende Jazzklaviertrio-Fassung von Strawinskys Ballettklassiker »Le Sacre du printemps« als toller Coup. Dass »The Bad Plus« nicht nur ungemein intelligent zu Werke gehende Dekonstruktivisten sind, sondern selber beeindruckend zu komponieren verstehen, hat man auf dem jüngsten, mit Tenorsaxofonist Joshua Redman eingespielten Album bewiesen. Bei den Leverkusener Jazztagen bestreiten Iverson, Anderson & King in eingespielter Trio-Besetzung das Abschlusskonzert. Gleich mit den ersten Tönen wird uns unmissverständlich eingetrichtert, warum für »The Bad Plus« Jazz nicht gleich Jazz ist.
36. Leverkusener Jazztage: 5. bis 15. November 2015; The Bad Plus: 15. November, Forum Leverkusen; www.leverkusener-jazztage.de