Es volkt in den Programmen der AfD. Die 2013 gegründete Partei sieht sich als Sprecherin der Mehrheit, deren Ansichten weder in den Medien vorkommen noch von den etablierten Parteien vertreten würden: Das Volk, so der Tenor des 68 Seiten starken Programmentwurfs, werde enstsprechend ignoriert, manipuliert und ausgenommen. Die Bundesrepublik erscheint als Staat, regiert von einem Kartell, das sich gegen die Interessen seines Volkes (nicht seiner Bürger) verschworen habe.
Bruch mit den Konservativen
Dieses Volk, dem offenbar nicht jeder Bürger der Bundesrepublik angehört, wird kulturell definiert. Das immerhin ist ein Bruch mit der Praxis der deutschen Rechten und Konservativen, die bis zur Änderung des Staatsbürgerrechts im Jahr 2000 dem ius sanguinis, dem Recht des Blutes den Vorzug gaben. Deutscher konnte nur sein, wer deutsche Vorfahren hatte. Alle anderen waren deutsche Staatsbürger. Doch das grundsätzliche Problem, wer denn dieses deutsche Volk überhaupt sei, kann auch die AfD mit ihrem auf Sprache und Kultur abzielenden Ansatz nicht lösen. Ist aber für ihre Politik zentral, so dass sie ihn historisch begründen und überhöhen muss und nicht auf ein rationales Rechtsverhältnis reduzieren kann.
Das Programm der AfD bietet zu Teilen einen kruden, widersprüchlichen Mix. Da finden sich die von Liane Bednarz und Christoph Giesa in »Gefährliche Bürger: Wie denkt die neue Rechte?« ausführlich beschriebenen völkischen und verschwörungstheoretischen Bezüge zur protofaschistischen Konservativen Revolution der 1920er und 30er Jahre ebenso wie liberale Reste der Professorenpartei, als welche die AfD unter Bernd Lucke begann; auch der protektionistische, dem Freihandel skeptisch gegenüberstehende Nationalliberalismus hat ein Obdach gefunden.
Das völkische Denken ist mythisch
Dominiert freilich wird das Parteiprogramm vom Völkischen, auch wenn es unbestimmt bleibt, weil es eben das Volk nicht gibt, das der Chimäre einer homogenen Gruppe entsprechen würde. Der deutschen Rechten ist es historisch so wenig gelungen, jenseits des Rassischen das Volk zu bestimmen, wie auch die Nation. Ihr imaginäres Ziel war das Reich, ein Fantasma, das über jede denkbare Grenze hinaus ging und nie »Nation« in einem Verständnis war, wie es in Frankreich vorherrscht. Das völkische Denken ist mythisch und bedarf keiner Logik, dient es doch ohnehin nur dazu, Ressentiments zu begründen.
Bei der deutschen Leitkultur, auf die die AfD sich bezieht, kommt man nicht umhin, sie vor allem als römisch und europäisch zu beschreiben: »Die Alternative für Deutschland bekennt sich zur deutschen Leitkultur, die sich im Wesentlichen aus drei Quellen speist: erstens der religiösen Überlieferung des Christentums, zweitens der wissenschaftlich-humanistischen Tradition, deren antike Wurzeln in Renaissance und Aufklärung erneuert wurden, und drittens dem römischen Recht, auf dem unser Rechtsstaat fußt«.
Kulturerbe für die kommenden Generationen
Auf dieser Basis baut die AfD ihre Kulturpolitik auf. Hauptziel ist es dabei, das »große Kulturerbe für die kommenden Generationen nicht nur zu bewahren, sondern es im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung weiterzuentwickeln und seine unverwechselbaren Eigenheiten zu erhalten«. Gefahren drohen aus dem Ausland: »Die Ideologie des Multikulturalismus, die importierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde Weise der einheimischen Kultur gleichstellt und deren Werte damit zutiefst relativiert, betrachtet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit.«
Wichtig ist der AfD auch die Verteidigung der deutschen Sprache. Sie soll weder bei Behörden noch in Unternehmen »im Sinne einer falsch verstandenen ›Internationalisierung‹ durch das Englische« ersetzt werden. Ohnehin kommt das Übel von außen: »Den aus dem angelsächsischen Raum importierten, von der EU in Richtlinien gegossenen und in Deutschland willfährig umgesetzten ideologischen Komplex, der mit den Schlagworten Gender Mainstreaming, Diversity, Anti-Diskriminierung usw. bezeichnet ist, lehnt die AfD ab.« Es handele sich dabei nicht um eine spontan oder organisch entstandene kulturelle Strömung, sondern um einen planvollen, unter massivem Einsatz von Steuermitteln ins Werk gesetzten Versuch politischer Lobbygruppen, kulturelle Hegemonie zu erringen.
Kultursubventionen will die AfD abbauen
Und da es nichts gibt, auf das Verlass ist, außer der Nation, soll deren Geschichte wieder heller strahlen: »Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst. «Kultursubventionen will die AfD abbauen, aber nicht gänzlich abschaffen, die Buchpreisbindung hingegen unliberal erhalten. Natürlich gilt es, das gute deutsche Buch vor dem Ausland zu schützen, zumal im Zeitalter seiner digitalen Reproduzierbarkeit: »Die Digitalisierung der Deutschen Literatur ist eine von Deutschland zu leistende Aufgabe. Nur die eigene Bevölkerung und deutsche Literaturfachleute können deutsche Literaturwerke gewichten.« (…) Das muss man sich mal vorstellen!
In den Programmen der AfD zur Kommunalwahl 2014 spielte Kultur keine große Rolle. Die AfD in Dortmund forderte gerade mal »niederschwellige und altersgerechte Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche mit verstärkten Angeboten im Bereich Sport, Musik, Technik, Kunst und Theater«. Die Bochumer AfD wollte die Dezernate Kultur und Schule trennen, weil in der Vergangenheit »teure kulturelle Prestigeprojekte, wie das Konzerthaus, auf Kosten der nötigen Sanierung von Schulgebäuden durchgesetzt« worden seien. In der Landeshauptstadt Düsseldorf spielte Kultur keine Rolle.
Mehr Kostenkontrolle bei Großprojekten
Aus dieser Ignoranz bricht die AfD in Köln aus. Sie war gegen den Bau des Jüdischen Museums, ohne es konkret beim Namen zu nennen und spricht nur von einem »millionenteuren Museumsbau auf dem Rathausplatz«. Die Partei will mehr Kostenkontrolle bei Großprojekten, betont, dass Kölns Kulturszene groß und vielfältig sei, die Stadt bereichere und ein herausragender Standortfaktor sei. »Neben der klassischen Hochkultur«, heißt es im zwei Jahre alten Programm, »sind hier vor allem die freie Theater- und Kleinkunstszene sowie die vielen Veedelsfeste zu nennen«. Das klingt beinahe Grün.
Faktor Angst
Die Kommunalwahlprogramme stammen allerdings, das darf man nicht übersehen, aus der Zeit vor dem Rechtsruck der AfD im Sommer 2015, als Frauke Petry auf dem Parteitag in Essen Bernd Lucke als Parteivorsitzenden verdrängte. Wie die gesamte Politik der AfD ist auch das relativ Wenige zum Bereich Kultur geprägt vom Faktor Angst und völkischem Denken. Diese Welt ist statisch – Kultur und ihr Begriff von einem Volk sind es auch. Veränderungen werden als Bedrohung wahrgenommen – und abgelehnt. Im Kulturbereich sind es jedoch keine muslimischen Flüchtlinge, die drohen, vielmehr der Westen, der »angelsächsische Raum«, der angeblich die deutsche Kultur gefährde. Interessanterweise nicht mehr der »Erbfeind« Frankreich, der noch vor 100 Jahren für den Unterschied von französischer Zivilisation und deutscher Kultur herhielt.
Es bleibt aber beim Affekt der Rechten, die Dynamik des Westens als Gegner zu werten. Damit ist sie allerdings nicht nur in eigenen Milieus anschlussfähig. Auch eine gewisse linke Ideologie verwahrt sich gegen das zivilisatorische Projekt des Westens, das das Individuum über die Konstruktion von Volk stellt.