Neues Album, neues Buch, neuer Mut – im kultur.west-Interview spricht Thees Uhlmann, der im Dezember in NRW auf Tour ist, über Schaffenskrisen und Politik.
Fünf Jahre mussten die Fans auf Thees Uhlmanns neues Album »Junkies und Scientologen« warten. In der Zwischenzeit wurde der Songwriter mit dem Roman »Sophie, der Tod und ich« unverhofft zum Bestseller-Autor. Er schrieb ein Buch über die Toten Hosen, das am 10. Oktober 2019 erscheint. Und er brach zum ersten Mal ein Albumprojekt ab, weil es sich nicht richtig anfühlte. Sein nun erschienenes drittes Soloalbum trägt all diese Erfahrungen in sich. Uhlmanns Texte zweifeln am Zustand der Welt, wissen um Rechtsruck und Populismus. Der aus den Fugen geratenen politischen Gegenwart schleudert der Songschreiber einen fiebrig-unruhigen Sound entgegen. Songs, gespickt mit popkulturellen Referenzen. Ein Gespräch über die Bedeutung der Kunst in gesellschaftlich schwierigen Zeiten.
kultur.west: Wie ist »Junkies und Scientologen« entstanden?
UHLMANN: Vor diesem Album habe ich ein Projekt angefangen, dass ich dann aber im Herbst 2017 abgebrochen habe. Die Texte waren zu weit weg von mir selbst und dem, was ich ausdrücken wollte. In den Songs des abgebrochenen Projekts habe ich meine Wut und mein Nachdenken über unsere Gesellschaft nicht genug zugelassen. Das gelang dann erst durch den Neuanfang für dieses Album. An einer Stelle nenne ich dieses Gefühl »mein ungebrochenes Unverständnis gegenüber der Welt«. Der Satz fasst es zusammen. Man guckt doch zurzeit auf die Welt und auch auf Deutschland und denkt: Was ist denn hier los? Was sind das für Leute? Sind die alle verrückt geworden? Es ist kaum zu verstehen, wie schnell das gegangen ist, das zurzeit Strömungen auftauchen, von denen ich gedacht hätte, das wir die hinter uns haben. Das treibt mich wirklich um – als Vater einer Tochter und als Künstler.
kultur.west: »Wenn du schreiben kannst, dann schreibe, wenn du singen kannst, dann sing«, fordert eine Zeile. Kunst wirkt auf dem Album wie ein Gegengift gegen den politischen Irrsinn…
UHLMANN: Das hat sicher viel damit zu tun, dass ich in den letzten zwei, drei Jahren begonnen habe, mich stärker als zuvor für Kunst zu interessieren. Für Bücher, für Malerei. Wenn ich unterwegs bin und die Zeit – oder der Kopf – es zulassen, versuche ich in jeder Stadt in ein Museum zu gehen. Und dann bin ich von der Kunst, die ich da erlebe, so wahnsinnig gerührt. Ich stelle immer wieder fest: Ey, es macht nicht dumm und aggressiv, in ein Museum zu gehen! Du findest es vielleicht hässlich oder du denkst, das kann ja jeder. Aber es macht auf jeden Fall nicht dümmer! Die neo-konservative Revolution, die anscheinend gerade im Gange ist: Brexit, Trump, die AfD, der steigende Einfluss von Russland auf den öffentlichen Diskurs. Vieles ist doch wirklich beängstigend. Aber dem gegenüber ist es wahnsinnig toll, wenn ich zum Beispiel mit meiner Tochter zum Billie Eilish Konzert gehe oder die Serie »Stranger Things« gucke. Das sind einfach ganz tolle Momente des Erfahrens von Kunst. Sie sind auf ihre Art den gesellschaftlichen Entwicklungen entgegengesetzt. Und das sind Gedanken und Wahrnehmungen, die das Album so machen, wie es ist und die ich brauche, um mir selbst Hoffnung zu machen.
kultur.west: Kunst als Antidot zum Rechtspopulismus?
UHLMANN: Das ist mir eigentlich schon zu viel gesagt. Ich will ausdrücken: Wenn du dich überhaupt erst mal für Kunst interessierst und du Kunst als Lebensbegleiter wahrnimmst, dann macht sie dein Leben nachhaltiger und interessanter. Schöner, reicher. Ganz simpel gedacht: Es ist einfach alles geiler mit Kunst. Es tut vielleicht mehr weh, sich Kunst auszusetzen, aber das Erleben ist eben auch viel schöner und bereichernder, als würdest Du Dich nicht für Kunst interessieren. Bei so einem psychopathischen Konstrukt wie der AfD ist die Kunst ja deshalb ausgeschlossen. Weil die AfD sagt: Früher war alles besser. Wir wollen die Welt kleiner und unkomplizierter. Und eben nicht – wie mit Kunst – schöner und reicher.
kultur.west: Erstaunlicherweise feierst Du dann auf dem Album Künstler, die für viele Indie-Fans rote Tücher sind. Die Scorpions, Bono, sogar ABBA.
UHLMANN: Ja, das hat etwas damit zu tun, dass es für mich, aber auch für meine Hörer spannender ist, wenn ich über Avicii oder auch ABBA schreibe, als wenn ich beispielsweise das aktuelle Tocotronic-Album feiere. Einfach, weil dann die künstlerische Fallhöhe größer ist. Aber mir ist eben auch aufgefallen, wie sehr ich ABBA liebe. Wie toll das doch ist, dass diese vier Schweden es geschafft haben, mit ihren Songs das komplette Musikuniversum umzukrempeln.
kultur.west: Alle Facetten von Kunst stehen auf dem Album gleichwertig nebeneinander. In dem Song »Avicii« heißt es: »Kunst wird nicht schlecht, nur weil das viele hören.« Ist das eine Attacke auf Geschmacksschnösel?
UHLMANN: Klar, mit 20 Jahren fand ich Bad Religion auch nicht mehr gut, weil sie in die Charts eingestiegen waren. Dann waren sie uncool. Ganz normaler Punker-Reflex. Aber die Welt hat sich so dermaßen weitergedreht, dass irgendein Lagerdenken wie zum Beispiel »Hippies gegen Punks« oder »Rock versus Hip Hop« heute eben Quatsch ist. Ganz einfach gesagt: Leute, die sagen »früher war es besser, Ausländer sind schlecht«, werden sich immer schnell gegenseitig finden. Weil sie keine Widersprüche ertragen und weil sie überhaupt keinen Drang haben, eine Sache ernsthaft zu durchdenken. Deswegen müssen sich die Klügeren, diejenigen, die Lust haben auf eine offene, liberale Gesellschaft, zusammenfinden und sagen: Wir haben die Kunst! Bei uns ist es vielleicht nicht so simpel, es ist kompliziert, aber bei uns ist es schöner.
kultur.west: Das heißt auch, die schwierige deutsche Vergangenheit in Kunst zu thematisieren. »Ich erinnere mich an alles, sogar noch an den Krieg«, heißt es in dem Song »Fünf Jahre nicht gesungen«.
UHLMANN: Damit möchte ich mich ganz klar gegen all diejenigen positionieren, die sagen: »Wir haben mit der Vergangenheit nichts mehr zu tun. Der deutsche Opferkult muss aufhören.« Da sage ich: Wart Ihr bekifft beim Geschichtsunterricht? Wo kommt denn Eure Dummheit her? Natürlich war ich persönlich beim Krieg nicht dabei, aber ich habe eine große emotionale Verbundenheit zu meinen Großeltern und die waren dabei. Ich weiß gar nicht, was es da groß zu diskutieren gibt? Natürlich habe ich keine Schuld, weil ich kein Gewehr in der Hand hatte. Aber eine Verantwortung habe ich als Deutscher natürlich zu 100 Prozent!
kultur.west: Es scheint, als seien politische Diskussionen immer schwieriger zu führen.
UHLMANN: Es gibt ja kaum noch einen öffentlichen politischen Diskurs. Wenn Du in Twitter oder Facebook schaust: Die Leute wollen doch nur noch ihre Meinung irgendwo hinschreiben und dann wollen sie für diese gelobt werden. Aber: Loben ist kein Diskurs. Loben ist keine Politik. Irgendwo hinzuschreiben, wie schlau man ist, ist keine Politik, sondern ein Hobby! Natürlich gibt es auch im Internet viele tolle Leute, aber dem Gros fehlt jegliche Offenheit für andere Positionen. Stattdessen gibt es die Emotionalisierung von Politik, gepaart mit gegenseitigem Lob und Ausgrenzung abweichender Meinungen. Das finde ich eine ganz gefährliche Entwicklung.
kultur.west: Wie sehr erfordern dann diese Entwicklungen ein politisches Engagement von Künstlern, wenn politisches Engagement in Musik immer auch emotionalisiert?
UHLMANN: Das ist eine unheimlich schwierige Frage. Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass sich Künstler wie Feine Sahne Fischfilet, Herbert Grönemeyer und Die Toten Hosen politisch engagieren. Was Feine Sahne Fischfilet machen, ist ja neben Politik auch einfach eine Graswurzelrevolution. Da wird im Osten jeder Stein umgedreht und geguckt, ob da eine Steckdose ist. Und dann wird gesagt: Wir stellen euch unsere Kunst zur Verfügung und stehen für die offene, liberale Gesellschaft ein. Die anderen würden euch am liebsten töten oder einsperren. Bei den Toten Hosen ist es ähnlich, dass sie schon immer in jedem Diskurs mitgemischt haben. Das ist wahnsinnig wichtig. Ebenso wie Herbert Grönemeyers politisches Engagement. Was mich betrifft, bin ich ja durch das, was ich mache, selbstverständlich politisch. Aber ich möchte auch nicht, dass sich politische Botschaften und die Emotionalität der Songs zu stark mischen. Es hilft doch niemandem, wenn ich mich vor meinen Fans plakativ gegen die AfD stelle und zum Mittelfingerzeigen auffordere. Dafür sind meine Fans auch zu schlau. Vielleicht ist es letztlich politischer und nachhaltiger, wenn ich sage: Leute, wir stehen hier für die Kultur und das Schöne ein? Diese Frage ist letztlich unlösbar, aber man muss sie immer wieder für sich neu verhandeln.
kultur.west: Der Deluxe-Variante des Albums liegt eine erstaunliche Bonus-CD bei. Auf »Gold« werden acht Stücke von Frauen gecovert – das Spektrum reicht von Nena und Judith Holofernes bis zur Trap-Rapperin Hayiti. Ist das ein Statement gegen die Ungleichheit im Musikgeschäft?
UHLMANN: Die Idee entstand zunächst aus Begeisterung für die Songs heraus. Wir, das heißt meine Mitproduzenten Simon Frontzek, Rudi Maier und ich, haben diesen Song »Gold« von Haiyti so geliebt, dass daraus die Idee entstand, ihn zu covern. Das funktionierte toll. Dann nahmen wir uns einen Song der Frauen-Punk-Band Östro 430 vor, die sich Ende der 70er Jahre in Düsseldorf gründete, noch vor den Toten Hosen! Und uns fiel auf, wie frisch das klingt, wie toll das wäre, wenn die Leute diese Band mal kennenlernen. Weniger Statement als sportlich gedacht: Wir suchen uns keine von Männern für Frauen komponierten Songs heraus, sondern nur Stücke, die wir toll finden und an deren Text und Musik auch wirklich nur Frauen beteiligt waren. Und dabei kamen diese acht Coverversionen heraus.
Thees Uhlmann, geboren 1974 in Hemmoor bei Cuxhaven, gründete zusammen mit den Kettcar-Musikern Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff 2002 das Label Grand Hotel van Cleef. Er ist Gründungsmitglied der die Hamburger Indie-Szene prägenden Band Tomte. Mit ihr veröffentlichte er bis 2008 fünf Alben. Sein Buch «Sophia, der Tod und ich« (erschienen bei Kiepenheuer & Witsch) hat sich mehr als 100.000 Exemplare verkauft. Im Oktober erscheint in der Reihe «KiWi Musikbibliothek« ein Porträtband über Die Toten Hosen. «Junkies und Scientologen« ist Thees Uhlmanns drittes Soloalbum.
Tourdaten in NRW:
11. Dezember, Dortmund, FZW
19. Dezember, Bielefeld, Lokschuppen
21. Dezember, Köln, Palladium